E-Bikes sind alle viel zu gross und vor allem auch zu schwer? Dann habt ihr vermutlich noch nie von den minimalistischen E-Bikes der estnischen Firma Ampler Bikes gehört. Die aktuell fünf verfügbaren Modelle sind hinsichtlich Aussehen und Gewicht kaum von einem normalen Fahrrad zu unterscheiden. Doch können sie auch fahrtechnisch überzeugen?
Ich bin das Modell Ampler Axel während gut zwei Wochen gefahren und konnte mir so einen guten Eindruck über das E-Bike bilden. Bei schönem Wetter, sprich mehr oder weniger fast jeden Tag, fuhr ich damit eine Strecke von ca. 26 Kilometer (hin und zurück) und bewältigte knapp 900 Höhenmeter.
Wer steckt hinter Ampler Bikes?
Bevor wir uns voll und ganz dem Bike widmen, ein paar Worte zu Ampler Bikes. Das estnische Unternehmen wurde tatsächlich in einer kleinen Garage gegründet und startete 2014 als kleines Nebenprojekt. Hinter der Firma stehen die drei Gründer Ardo, Hannes und Rait – ein professioneller Motocross-Rennfahrer, ein leidenschaftlicher Ingenieur und ein Fahrradkonstrukteur.
Nach einem ersten Prototyp und einem erfolgreichen Crowdfounding im Jahr 2016, startete das kleine Unternehmen als Start-Up durch. 2018 stellte Ampler Bikes mit “Curt”, Stout” und “Stellar” die ersten drei Bikes vor. Ein paar Jahre später erweiterte Ampler Bikes das Produktsortiment um die Modelle “Juna” und das von uns während den letzten Wochen getestete “Axel”.
Alle Bikes von Ampler werden ausschliesslich im Direktvertrieb vermarktet. Heisst, sie können über die offizielle Website oder in einem der Showrooms (vor)bestellt werden. Dieses Geschäftsmodell soll die Preise möglichst tief halten. Das können wir bestätigen: Ab knapp 3000 Franken sind die günstigsten Modelle von Ampler erhältlich. Das ist zwar immer noch viel Geld, aber für E-Bikes doch eher im unteren Preissegment angesiedelt.
Bevor es los geht: Selbstmontage ist angesagt
Das E-Bike wird in einer grossen Kartonkiste per Kurier geliefert. Darin befindet sich das Bike sowie eine Anleitung (nur auf Englisch), Montageequipment (zwei Imbus-Schlüssel) und das Ladegerät. Als nicht so handwerklich begabter Mensch, war ich froh, dass nur der Lenker eingestellt und die zwei Pedale montiert werden mussten. Ja, das habe ich sogar problemlos hingekriegt.
Da sonst nichts weiteres zusammengeschraubt werden muss und das Bike mit einem mindestens halbvollen Akku geliefert wird, war es bereits nach wenigen Minuten fahrbereit. Allerdings empfiehlt Ampler, dass der Akku vor der ersten Fahr komplett aufgeladen wird. Man muss sich also doch noch etwas in Geduld üben, bevor es auf den Sattel gehen kann.
Wichtig: Unbedingt die Anleitung befolgen und alle aufgeführten Punkte vor der ersten Fahrt beachten oder ganz einfach das folgende Video von Ampler anschauen.
Ist das wirklich ein E-Bike?
Das Ampler Axel ist ein stylisches und zugleich minimalistisches E-Bike. Man hat beim Anblick wirklich das Gefühl, man hätte es beim Axel mit einem klassischen Bike für die Stadt zu tun. Untermauert wird dieser Eindruck durch das sehr niedrige Gewicht von lediglich 16,4 Kilogramm. Zum Vergleich: Ein Stromer ST1 ist mit seinen 31,4 Kilogramm fast doppelt so schwer.
Der kleine Hecknabenmotor ist fast unsichtbar verbaut. Der Akku ist überhaupt nicht zu sehen und befindet sich im Unterrohr. Das wiederum bedeutet, dass das E-Bike jeweils als Ganzes an die Steckdose muss. Für den einen oder anderen dürfte dies als Einschränkung angesehen werden. Ein (weiterer) Nachteil dieser puristischen Lösung: Der Akku lässt sich nur von einem Händler zwecks Reparatur entnehmen.
Ausgeliefert werden alle Ampler Bikes mit einer hochwertigen Lichtanlage von Busch & Müller (vorne) und ein am Schutzblech montiertes Trelock-Rücklicht. Dank der Lichtanlange hat man bei Dunkelheit stets einen guten Überblick, was auf der Strasse geschieht. Positiv: Die Bikes werden mit Schutzblechen (vorne und hinten) ausgeliefert. Ein Gepäckträger gibt es nicht ab Werk, kann aber optional für 60 Franken dazu gekauft werden.
Das Ampler Axel ist exklusiv mit wartungsarmen Singlespeed-Riemenantrieb erhältlich. Verstellbaren Gänge gibt es somit nicht. Tatsächlich habe ich die Gänge beim Axel allerdings überhaupt nicht vermisst. Die Scheibenbremsen, dessen Hersteller nicht bekannt ist, sind hydraulisch geregelt. Die Bremsen sind okay – mehr nicht. Sie dürften für meinen Geschmack etwas griffiger sein – wobei das mit der Zeit besser werden könnte. Scheibenbremsen benötigen in der Regel eine gewisse Dauer, bis sie ihre Leistung komplett entfalten können.
Puristisch geht es auch bei der Bedienung des E-Bikes zu und her. Das obere Rohr ist mit einem Power-Button und einem integrierten Display ausgestattet. Einzig über diesen Button erhält man Zugriff auf die Funktionen. So lässt sich darüber das Fahrrad und Licht ein-/ausschalten sowie die verschiedenen Unterstützungsmodi wählen. Bei Stillstand informiert das Display über die Batteriereichweite und zeigt Fahrstatistiken (Distanz und Durchschnittsgeschwindigkeit) an.
All diese Informationen und Funktionen werden ebenfalls in der Ampler-App bereitgestellt. Bei mir hat die Synchronisierung der Fahrstatistiken leider überhaupt nicht funktioniert und auch die Ortung war eher Glückssache. Obwohl ich mehrere Kilometer mit dem Axel gefahren bin, zeigte mir die App eine gähnende Null an – schade. Gut hat über die App dafür das Ein- und Ausschalten (Bike und Licht) und die Wahl des Unterstützungsmodus funktioniert.
Tipp: Wer die Fahrdaten immer im Blick haben möchte, sollte sich eine Velohalterung fürs Smartphone kaufen. Zusätzlich kann so (mehr oder weniger) einfach der Unterstützungsmodus gewechselt werden.
Durch die gekrümmte Lenkerform sitzt man nahezu aufrecht und damit sehr angenehm auf dem Bike. Der Sattel fühlt sich wertig an und bleibt auch auf längeren Fahrten bequem. Insgesamt macht das Bike einen hochwertigen Eindruck. Die Schweissnähte sind nahezu perfekt – so muss das sein. Nicht mehr ganz zeitgemäss sind die sichtbaren Kabel für die Bremse, die so konstant den Witterungsbedingungen ausgesetzt sind.
Ein Flitzer für die Stadt
Der Motor am Hinterrad bietet eine Nennleistung von bis zu 250 Watt. Er ist bis auf ein leises Surren kaum wahrzunehmen. Seine Unterstützung gibt der Elektromotor auf flachem Gelände sanft, aber dennoch sehr ordentlich weiter. Bis 25 km/h unterstützt der Elektromotor, danach setzt die Unterstützung komplett aus. Davon bekommt man als Fahrer:in jedoch nicht wirklich etwas mit. Das Bike fährt ganz normal und ohne merkbaren Widerstand weiter.
Das Ampler Axel bietet folgende zwei Motorunterstützungsmodi, welche über die App hinsichtlich der Intensität der Unterstützung angepasst werden können:
- Standard – 70% Unterstützung
- Max – 100% Unterstützung
Die elektrische Unterstützung kann bei Bedarf ganz deaktiviert werden
Leistungstechnisch kann es der kleine Elektromotor nicht ganz mit einem vergleichbaren Motor von Bosch (Performance Line) aufnehmen. Das fällt einerseits bei stets hohen Geschwindigkeiten und andererseits am Berg auf. Bei diesen zwei Szenarien muss man bei Ampler mehr Kraftaufwand betreiben.
Mein Arbeitsweg führt mich ca. 13 km durch die Agglomeration und Stadt Bern. Da ich etwas ausserhalb von Bern wohne, muss ich auf dem Rückweg einen längeren Stutz mit einer Steigung von ca. 5% bewältigen. Dieser lässt sich zwar noch gerade so meistern, doch dabei gelangt der Motor an seine Grenzen. Man muss schon kräftig treten und eine gewisse Grundfitness mitbringen, um vorwärts zu kommen. Einen leichteren Gang lässt sich nicht wählen, da wir es, wie oben erwähnt, mit einem Singlespeed-Bike zu tun haben. Fairerweise muss man auch sagen, dass Ampler mit seinen Bikes eine andere Zielgruppe ansprechen möchte.
Gut zu wissen: Im Internet gibt es zahlreiche Berichte darüber, dass der Elektromotor beim Anfahren erst nach einer kurzen Verzögerung einsetzen würde. Das stimmt und eben doch nicht. Wie jetzt? Nun, Ampler setzt auf einen Drehmomentsensor, dieser befindet sich nur in der linken Kurbel. Heisst also: Starte ich mit dem rechten Pedal, kommt die Unterstützung später. Fahre ich jedoch mit dem linken Pedal los, ist die Unterstützung sofort da.
Gefedert ist das Bike nicht, die dicken Reifen (Continental Contact Urban 50-584) vorne und hinten sorgen aber für eine leichte Dämpfung und für eine hohe Laufruhe. Ja, so lässt es sich auch mal über einen nicht asphaltierten Landweg fahren. Für Downhill-Strecken ist das Rad natürlich nicht konzipiert. Insgesamt durfte ich das Axel als sehr agiles und wendiges E-Bike kennenlernen, das sich obendrauf sehr angenehm Fahren lässt.
Akku & Reichweite im Check
Der 48V-Akku umfasst eine Kapazität von 336 Wh. Laut Ampler soll das E-Bike damit je nach Unterstützungsmodus auf eine Reichweite von bis zu 100 Kilometer kommen. Der Durchschnitt liegt dem Hersteller zufolge bei ungefähr 70 Kilometern liegen – je nach Gelände und Gewicht des Fahrers.
Ich habe das Bike mit maximalen Unterstützungsmodus verwendet und bringe knapp 100 Kilo auf die Waage. Damit komme ich im Durchschnitt auf ziemlich genau 50 Kilometer Reichweite – je nach Strecke bzw. Gelände. Jedenfalls konnte ich meine Pendlerstrecke von 26 Kilometern (hin und zurück) problemlos meistern. Danach zeigte mir das Display am Abend eine Restreichweite von ungefähr 22 Kilometern an. Ein Wert, der in meinen Augen absolut in Ordnung geht.
Das mitgelieferte Ladegerät kann den Akku anschliessend innerhalb von ca. 2,5 Stunden komplett aufladen.
Pro und Contra des Ampler Axel
Das Testfazit zum Ampler Axel
Das Ampler Axel glänzt nicht mit brachialer Leistung. Vielmehr überzeugt das E-Bike mit seinem puristischen Aussehen, dem leichten Gewicht, dem agilen Fahrverhalten und einem ordentlichen Antrieb auf flachem Gelände. Es eignet sich am besten für all diejenigen, welche im Pendlerverkehr in der Stadt unterwegs sind. Da reicht die Reichweite des Akkus mit 100% Motorunterstützung locker aus.
Wer längere Fahrradtouren mit dem Bike geplant hat, der sollte möglichst flache Routen wählen. Am Berg liefert der Elektromotor zu wenig Power. Eine Steigung von 5% geht noch grad so, alles was darüber ist, setzt Muskelkraft voraus. Die Bedienung am Bike, vor allem fürs Wechseln der Unterstützungsmodi, ist umständlich. Auch hat die App bei uns im Test leider nur selten funktioniert.
Ein weiterer Punkt, der als Schwäche angesehen werden kann, ist der fix verbaute Akku. Er lässt sich nur von einem zertifizierten Fachhändler austauschen. Das bedeutet, dass das Bike in der Nähe einer Steckdose positioniert werden muss, wenn der Akku leer ist.