Ist KI die Zukunft des Romanschreibens? Ich hoffe nicht.
Ein Buch zu schreiben ist harte Arbeit. Ein Buch mit KI zu schreiben ist Betrug. (Bild: cbu)
Meinung Künstliche Intelligenz Unterhaltung

Eine KI macht noch keinen Autor

Chris Bucher
Chris Bucher

«Ich will auch einmal ein Buch schreiben», ist ein Satz, den höre ich seit rund zwanzig Jahren. Also ungefähr seit der Zeit, als ich ernsthaft mit dem Schreiben begonnen habe und nicht müde wurde, das allen, die es hören wollten (oder auch nicht), unter die Nase zu binden. Chris, der künftige Romancier, der Literat, der neue Stern am deutschsprachigen Buchhimmel.

Heute habe ich meine Nische gefunden, erzähle Horror- und Abenteuergeschichten und fühle mich wohl damit. Zwei Novellen und drei Kurzgeschichte sind bislang unter meinem Namen erschienen. Zwei weitere Novellen folgen noch in diesem Jahr. Von Reichtum und Welterfolg kann (noch?) nicht die Rede sein, aber ich schreibe aus Leidenschaft.

Und jene in meinem Bekanntenkreis, die «auch einmal ein Buch schreiben» wollten? Nichts ist daraus geworden, soweit ich weiss. Denn ein Buch zu schreiben ist harte Arbeit, die viel Selbstdisziplin und Durchhaltewillen erfordert. Das sagen dir selbst die schlechtesten Schreibratgeber da draussen. Eine schlüssige Handlung, spannende Figuren und eine angenehme Schreibe fällt wohl niemandem in den Schoss. Das muss man sich erarbeiten.

Wunderwaffe Schreib-KI

Viele, die es wenigstens über den gedanklichen Wunsch hinaus schaffen und tatsächlich ein paar Seiten zu Papier bringen, kommen ebenfalls zügig zu dieser Realisation. Von den drei, vier vollen Seiten bis zum finalen 500-Seiten-Meisterwerk ist es eben doch ein weiter Weg. Und der kann abschrecken. Tut er selbst mich noch.

Seit einiger Zeit gibt es aber eine Wunderwaffe, die einem beim Schreiben helfen soll. Wie Instagram-Werbungen mir weismachen wollen, bin ich nur ein paar Text-Prompts von meinem Bestseller entfernt. KI heisst das Zauberwort. Und sie ist das Ozempic der schreibenden Zunft. Die KI-Software Squibler lockt beispielsweise mit diesem verlockenden Angebot: «The supercharged AI story writer that creates full-length books, novels, and screenplays with just a few clicks. Instantly ready for print and online.»

Von deiner Idee zum fertigen Roman in ein paar Klicks. Du musst es nicht einmal selbst schreiben. Wäre ja auch wirklich lästig, wenn du als Autor dein Buch schreiben müsstest.

Toll, oder?

Nein.

Der klassische Optimierungswahn

Künstliche Intelligenzen wie ChatGPT sind im alltäglichen Gebrauch angekommen und selbst wenig computer-affine Menschen beschäftigen sich damit und sind überrascht und entzückt, über die Fähigkeiten solcher Programme. Verständlicherweise! Ich selbst hab auch damit herumgespielt. Nicht, weil ich Abkürzungen suche, sondern weil ich als Journalist ein grundsätzlich neugieriger Mensch bin und mich neue Technologien interessieren.

KIs helfen, Prozesse zu beschleunigen und zu vereinfachen. Ob in Schulen, der Softwareentwicklung oder eben im kreativen Bereich. Mit wenigen Klicks «kreieren» Leute vermeintlich tolle Gemälde im Stil von Keith Haring, werden zum digitalen Hip-Hop-Komponisten oder es kommt eben zu einem sprunghaften Anstieg von neuen «Autorinnen» und «Autoren», die den Selfpublishing-Markt mit ihren Werken fluten.

Nur ist nichts davon mehr als eine technische Spielerei ohne richtige Substanz. Denn wenn ich mir ein gepolstertes Sixpack-Shirt über die Wampe ziehe macht mich das nicht zum Fitness-Hengst.

Nicht alles, was schreibt, ist ein Autor

Was viele dieser «Ich will auch einmal ein Buch schreiben»-Leute wirklich wollen, ist nicht, tatsächlich ein Buch zu schreiben, sondern eines zu haben. Quasi die mühselige Arbeit zu umgehen und bereits mit dem fertigen Produkt prahlen zu können. Die Abkürzung nehmen, den Aufwand scheuen, schnell und bequem ans Ziel kommen. Quasi das bockschwere Videospiel mit Cheats durchzocken. Das entspricht dem heutigen Zeitgeist und ja, Freunde, das könnt ihr alles tun. Eine Leistung ist das aber nicht.

Hinzu kommt, dass diese KI-Modelle mit realen Werken «gefüttert» werden, um zu lernen. Das gilt sowohl für Bild- als auch Text-KIs. Moralisch – und rechtlich – sehr fragwürdig.

Des Teufels Advokat

Soll sich KI also zum Teufel scheren? Nein. Zum einen, weil sie nicht mehr aus unserem Leben verschwinden wird, egal, wie sehr wir uns dagegen wehren. Zum anderen aber auch, weil sie durchaus nützlich sein kann. In meinen Augen ist sie ein Werkzeug. Ja, auch ich nutze KI in meinem Schreiballtag. Beruflich und privat. Etwa für eine kurze Recherche (natürlich mit anschliessendem Faktencheck), als erweitertes Wörterbuch oder als spontaner Grammatikcheck (dass und das sowie bestimmte Zeitformen sind immer noch grosse Feinde von mir).

Vom kreativen Schreiben soll sie aber die Finger lassen. Das ist mein Job. Zum einen, weil es das Autorensein mit all seinen Hochs und Tiefs ausmacht, zum anderen, weil die KI im Kreativbereich (noch) mehrheitlich generischen, seelenlosen Schrott produziert.

Es mögen deine Ideen, deine Charaktere und deine Dramaturgie sein (wenn du dir denn überhaupt soviel Mühe gemacht hast), aber es ist nicht dein Buch. Es ist das einer Maschine. Weder hat es deine sprachlichen Eigenheiten, noch deine Satzstruktur noch deinen Charme, Witz, Weltschmerz, Optimismus oder was auch immer dich als Autorin oder Autor ausmacht.

Die Leiden des jungen Schreibers

Ja, manchmal «leide» ich beim Schreiben und das ist nicht immer angenehm. Fragt mein Umfeld. Vermeintlich vielversprechende Ideen versanden, da geht eine Handlung nicht auf, Szenen scheinen in der falschen Abfolge zu passieren oder – und das ist mir schon zweimal passiert – ich merke nach 2/3 des geschriebenen Manuskripts, dass ich die falsche Erzählperspektive gewählt habe. Ergo: Nochmals von vorne beginnen.

Da landen Tage, Wochen, teils Monate harter Arbeit im digitalen Papierkorb. Hunderttausende von Wörtern. Ciao, adé, merci.

Das regt auf, das demotiviert, das stellt meine Fähigkeiten in Frage. Aber wisst ihr was? Das gehört dazu. Denn auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Momente, die den Dopamin-Spiegel in die Höhe katapultieren.

Etwa, wenn ein Kapitel besonders gut gelungen ist. Oder nachts um drei Uhr plötzlich die Idee ins Gehirn schiesst, um ein Problem zu lösen, das mich seit Tagen blockiert hat. Wenn ein «happy accident» eine ganze Kette von guten Ideen auslöst. Oder wenn ich das Manuskript zum ersten Mal ausgedruckt in den Händen halte und mir selbst sagen kann: Das habe ich geschrieben.

Solche Momente bleiben bei der KI aus. Weiter als ein «das ist nicht völlig besch…eiden» bin ich bisher bei KI-Texten nicht gekommen. Und ich sehe mich nicht einmal als Literat, sondern als Genre-Schreiber. Klar könnte ich das Ding soweit mit Prompts und Nachkorrekturen füttern, dass vielleicht was halbwegs brauchbares bei rumkommt, aber in der Zeit habe ich das Kapitel wohl schon selbst geschrieben.

KI: eine Frage der Perspektive

Natürlich haben nicht alle «Ich will auch einmal ein Buch schreiben»-Leute die Ambition und den Anspruch, Vollzeitschreiberlinge zu werden. Ja, manche wollen vielleicht wirklich nur einmal ein eigenes Buch in den Händen halten. Und für jene sind auch diese KI-Tools vielleicht keine verkehrte Angelegenheit. Oder für Leute mit Lese- und Schreibschwäche. Wie gesagt, es ist ein Werkzeug und nicht pauschal zu verteufeln.

Das ist meine Sicht der Dinge. Es gibt Autorinnen und Autoren, die selbst meinen Ansatz als frevelhaft betrachten und die grundsätzliche Nutzung von KI – egal in welchem Rahmen – schon als Disqualifikation fürs Autorensein betrachten. Wie die meisten Meinungen ist auch die völlig legitim. Andere finden hingegen nichts Verwerfliches dabei, ein ganzes Buch schreiben zu lassen. Wo also die Linie gezogen wird, muss jeder und jede für sich selbst entscheiden.

Bei mir ist der Fall klar.

Wenn Leute sich nicht die Mühe machen, ein Buch zu schreiben, warum sollte ich mir dann die Mühe machen, es zu lesen?