«House of the Dragon» stellt in vielerlei Hinsicht einer der interessantesten Serienstars des Jahres dar. Das Spin-off muss nicht nur den finanziellen Erwartungen von Produktionsstudio HBO gerecht werden, sondern vor allem den Erwartungen der Fans. Diese kann man grob in zwei Lager einteilen: Diejenigen, die die eher schwache letzte Staffel von «Game of Thrones» nicht verkraftet haben und diejenigen, die sich schlicht auf mehr Geschichten aus Westeros freuen.
Für mehr Infos: «House of the Dragon»: Alles, was wir über das «GoT»-Spin-Off wissen
Am 22. August, nachts um 4.10 Uhr Schweizer Zeit, wird die erste Folge zeitgleich mit dem US-Start auf Sky Show aufgeschaltet. Ich habe mir die erste Folge bereits anschauen und mir so einen ersten Eindruck verschaffen können.
Achtung: Dieser Text enthält keine Spoiler. Wer möchte, kann aber den einen oder anderen Hinweis als leichten Spoiler empfinden. Euer Seherlebnis wird das aber nicht mindern.
Die Frage aller Fragen ist natürlich: Kann «House of the Dragon» mit «Game of Thrones» mithalten? Wir erinnern uns: 2011 hat «GoT» nicht nur das Fantasy-Genre wiederbelebt, sondern die TV-Landschaft in ein goldenes Zeitalter geführt. Seither sind Serien keine «B-Ware» mehr und selbst alteingesessene Hollywood-Stars wie Anthony Hopkins oder Meryl Streep sind sich nicht mehr zu schade, in einer Serie aufzutreten.
Nun hat also «House of the Dragon» die schwere Aufgabe, dieses Vermächtnis angemessen weiterzuführen. Ob die Serie das geschafft hat, kann ich nach einer Folge nicht sagen. Was ich aber nach der ersten 66 Minuten, die die erste Episode dauert sagen kann: Der Auftakt ist gelungen!
«House of the Dragon» stellt Charakterentwicklung über Action
Ja, auch ich hatte so meine Bedenken, bevor ich die erste Folge gesehen hatte. Besinnt sich HBO wieder auf die Charaktere oder gibt es wieder ein Action-Feuerwerkt à la Staffel 8 von «Game of Thrones»? Möglich wäre es gewesen, denn mit mehreren Targaryen, die alle ihre eigenen Drachen haben, gibt es durchaus viel Action-Potenzial. Glücklicherweise haben sich Ryan J. Condal und Autor George R. R. Martin, die die Serie geschaffen haben, auf ihre Wurzeln besonnen.
So gibt es in der ersten Folge das, was wir an den ersten vier Staffeln von «Game of Thrones» so geliebt haben: Brutale Kämpfe mit Wort und Schwert. Der grosse Vorteil, den «House of the Dragon» hat, ist, dass es auf dem Vorwissen von «Game of Thrones» aufbauen kann. Damit muss sich die Serie nicht mit langen Einführungen wie kulturellen Eigenheiten und geografischen Begebenheiten aufhalten. Die Geschichte steigt also «mitten im Getümmel» ein und setzt Voraus, dass du dich in Westeros auskennst.
Gewalt, Sex und ganz wenig Drachen
Bezüglich Gewalt geht die erste Folge bereits sehr weit und erinnert stellenweise an die Folge «The Mountain and the Viper» aus der 4. Staffel von «Game of Thrones», als Oberyn Martell einen sehr unschönen Abgang hinlegt. Damit macht «House of the Dragon» klar: Diese Serie ist nichts für schwache Mägen.
Und falls dir jetzt gleich die naheliegende Folgefrage in den Sinn kommt, hier die Antwort: Ja, auch in Sachen Sexszenen versucht «House of the Dragon» mit seinem Vorläufer mitzuhalten. Zumindest in der ersten Folge toben sich die notgeilen Lords’ Westeros aber noch nicht so explizit aus wie in «Game of Thrones».
Sparsam eingesetzt haben die Drehbuchautoren in der ersten Folge die Drachen. Ja, wir kriegen den einen oder anderen zu Gesicht, aber auf ihren grossen Auftritt müssen sie noch warten. Dass dieser kommt, wissen wir dank diverser Trailer. Dass die Drachen bei «House of the Dragon» nicht im Mittelpunkt stehen, ergibt Sinn, denn zu Zeiten der Targaryen waren diese ganz normal. Das macht die Folge auch gleich zu Beginn klar, als ein Drache über die Stadt fliegt und niemand der Bewohner in den Gassen nach oben schaut. Sie sind eher sehr gefährliches Kriegsspielzeug, das in Zeiten des Friedens nur sporadisch verwendet wird.
Matt Smith spielt einen grossartigen Daemon Targaryen
Ebenfalls ein Novum ist ein vereintes Westeros, in denen die sieben Königslande nicht im Klinsch miteinander liegen. Das Haus Targaryen hat das Königreich fest im Griff und höchstens sie selbst könnten sich gefährlich werden. Bereits zu Beginn der Episode warnt der Vorgänger des aktuellen Königs genau davor und spätestens am Schluss der Folge wissen wir, dass es in diese Richtung gehen wird. Ein Spoiler ist das übrigens nicht, denn auch die Inhaltsangabe von «House of the Dragon» deutet an, dass es zu einem Krieg zwischen den Targaryens kommen wird.
Die verschiedenen Konfliktparteien sind nach der ersten Episode grob umrissen. Heissen muss das allerdings nichts, denn es gibt auch genug Charaktere, die das Potenzial haben, ein Fähnchen im Wind zu sein. Vor allem Daemon Targaryen könnte den Machern dazu dienen, das Publikum auf eine falsche Fährte zu locken. Vordergründig unbeherrscht und gewaltätig unterstellen ihm viele, es nur auf den Thron abgesehen zu haben. Ich bin mir aber nicht sicher, ob dem wirklich so ist.
Gespielt wird Daemon von Matt Smith, bei dem ich anfangs etwas skeptisch war. Nicht, weil er kein guter Darsteller ist, sondern vielmehr, weil ich nicht wusste, ob ich ihn als Doktor aus «Doctor Who» aus dem Kopf kriege. Doch Smith spielt seine Rolle mit so viel Intensität und Hingabe, dass seine alte Paraderolle keine Chance hatte, sich in mein Gedächtnis zu schleichen. Überrascht hat mich auch Paddy Considine als König Viserys I Targaryen. Auf den Promobildern hat er für mich immer etwas unscheinbar gewirkt, fast ein bisschen deplatziert. Nach der ersten Folge ist er aber einer der Charaktere, die bei mir hängen geblieben sind.
Weibliche Charaktere noch eher im Hintergrund
Ebenfalls sehr interessant ist Otto Hightower, die Hand des Königs. Er ist einer der Charaktere, bei denen man nicht so recht weiss, woran man ist. Vordergründig scheint er aufrichtig zu sein und überlegt zu handeln. Allerdings ist man sich bei ihm doch nie ganz sicher, ob er doch nur nach seinen eigenen Interessen handelt. Nein, ein Littlefinger ist er (noch) nicht, allerdings würde es mich nicht überraschen, wenn er dem König in den Rücken fällt – wenn auch nur aus falscher Aufrichtigkeit.
Etwas blass blieben für mich leider die weiblichen Charaktere. Das liegt vor allem daran, dass «House of the Dragon» eine Cercei Baratheon fehlt, die den Lords von Westeros die Stirn bietet. Das hat sicher auch seinen Grund. Fast 200 Jahre vor den Ereignissen von «Game of Thrones» haben Frauen in der Welt von Westeros weit weniger zu sagen, als zu Zeiten Cerceis. Eine Frau als Thronfolgerin gilt als Frevel. So beschränken sich die Frauenrollen in der ersten Folge vor allem darauf, zu lächeln und still an der Seite ihrer Gatten zu stehen.
Einzig die Tochter des Königs, Prinzessin Rhaenyra Targaryen darf ein bisschen glänzen, ist als Charakter aber noch etwas verschwommen. Da wirkt die etwas ältere Rhaenys Targaryen um einiges interessanter. Zwar waren ihr in der Pilotepisode – wenn ich mich recht erinnere – nicht eine Zeile Text vergönnt, doch ihre Mimik hat trotzdem klar gemacht: Diese Frau trägt einen grossen Koffer Balast mit sich herum. Als legitime Erbin des Throns, die nur wegen ihres Geschlechts übergangen wird, ist das wenig verwunderlich. Für mich ist sie aktuell die vielversprechendste weibliche Figur.
Fazit zur ersten Folge «House of the Dragon»
Anhand einer Episode lässt sich nicht eine ganze Serie bewerten. Was sich aber sagen lässt: Mit den ersten 66 Minuten ist «House of the Dragon» ein guter Auftakt gelungen, der den Fans gefallen wird, die die ersten vier Staffeln von «Game of Thrones» am besten gefunden haben. Atmosphärisch dicht, bringt die erste Folge die Figuren in Stellung um fieses Spiel um Macht auszurollen, bei dem Drachen die nötige Würze darstellen. Vor allem aber ist «House of the Dragon» nicht einfach nur mehr vom Gleichen, sondern vertraut anders. Wenn die weiteren Folgen dieses Niveau halten können, dürfen wir uns auf eine tolle erste Staffel freuen.
PS: Die Fragen aller Fragen, habe ich noch nicht beantwortet: Hat «House of the Dragon» auch so ein episches Intro wie «Game of Thrones»? Sagen wir es mal so: Das Streaming-Zeitalter hat seinen Tribut gefordert.