Seit 2019 kämpft Huawei mit den Konsequenzen des US-Banns. Obwohl die USA die Restriktionen immer mehr verstärkt haben, überraschte Huawei mit einem langen Durchhaltevermögen. Trotz des Verlustes von Google-Services präsentierte die Chinesen mit dem Mate 30 Pro, dem P40 Pro und zuletzt dem Mate 40 Pro drei Topgeräte, die unter dem Embargo entstanden. Mit Neuauflagen wie dem P30 Pro New Edition fand das Unternehmen sogar ein Schlupfloch, um noch das eine oder andere Smartphone mit Google Services auf den Markt zu bringen. Spätestens bei der Präsentation des Mate 40 Pro in letztem Herbst war allerdings klar: Huawei kämpft in der Smartphone-Sparte um seine Existenz. CEO Richard Yu bat am Schluss der Präsentation die Zuschauer*innen darum, Huawei in dieser schwierigen Situation zu unterstützen. Ein Novum und eine Tat, die auch etwas verzweifelt gewirkt hat.
Verzweifelt ist man bei Huawei wohl tatsächlich, denn dem Konzern hat immer offensichtlicher Mühe, die Lieferkette für Smartphone-Bauteile aufrechtzuerhalten. Das zeigte erstmals sehr deutlich beim P50 Pro. Während Huawei den Launch-Termin der P-Serie, der jeweils im Frühling stattfindet, letztes Jahr noch einhalten konnte, wurde 2021 nichts daraus. Immer wieder wurde die Vorstellung verschoben, bis Yu schliesslich bei der Präsentation von HarmonyOS Anfang Juni unumwunden zugegeben hat: «Wir wissen nicht, wann wir das P50 Pro vorstellen können, da die Lieferkette nicht gesichert ist.»
Dazu passen Berichte des Blogs Huaweicentral, wonach in Huaweis Flagship-Stores gähnende Leere herrsche. Da Huawei die Bauteile ausgingen, können immer mehr Modelle nicht mehr in den Shops angeboten werden. Partner wie Leica verlassen das sinkende Schiff bereits. Dass Huawei selbst in China zu kämpfen hat, zeigt auch die jüngste Statistik der chinesischen Smartphone-Verkäufe: Während Huawei vor einem Jahr die Verkaufscharts noch angeführt hat, ist man nun aus den Top 5 herausgefallen. Vivo, Oppo, Xiaomi, Apple und die ehemalige Tochtermarke Honor machen die Top 5 unter sich aus, Huawei wird nur noch unter «Andere» geführt. Diese «Anderen» müssen sich zusammen 18,1 Prozent des Marktes teilen.
Das Huawei P50 Pro wird kaum die Wende bringen
Am 29. Juli stellt Huawei nun endlich sein neues Flaggschiff, das Huawei P50 Pro vor. Doch auch dieses steht unter einem schlechten Stern. Laut diversen Berichten gehen die Vorräte an konkurrenzfähigen 5G-Chips der hauseigenen Kirin-Reihe aus. Zwar darf das Unternehmen mittlerweile wieder Chips von Qualcomm beziehen, allerdings keine 5G-fähigen. In einer Smartphone-Welt, in der 5G das neue Verkaufsargument ist, hat man also bereits bei Verkaufsstart einen Nachteil. Womöglich wäre das noch zu verschmerzen, wenn Huawei wenigstens die Lieferkette aller Bestandteile sichern könnte. Doch auch hier scheint es Probleme zu geben: Immer wieder hört man Gerüchte, wonach Huawei Mühe habe, wichtige Bauteile wie Speicher oder Kamerasensoren in ausreichender Menge zu beziehen.
Diese Engpässe haben sich sicher auch auf die Produktion des P50 Pro ausgewirkt. Angeblich soll Huawei so grosse Probleme mit dieser haben, dass nur wenige Geräte verfügbar sind. Obwohl die Präsentation des P50 Pro als Global Launch angekündigt wurde, konzentriert sich Huawei komplett auf China. Der Livestream war nur auf der hauseigenen Website und auf Chinesisch verfügbar, populäre westliche Plattformen wie YouTube wurden bisher ignoriert. Auch Huawei Schweiz hat sich bisher mit keinerlei Ankündigungen oder Infos zum neuen Smartphone gemeldet. Auf eine Anfrage von vybe bei der zuständigen Schweizer Pressestelle erhielten wir eine Abwesenheitsnotiz bis zum 2. August. Ebenfalls ein Zeichen, dass der Global Launch wohl gar nicht so global ist. Getoppt wird das noch von einem Leaker, der behauptet, dass Huawei sogar nur einige Hundert Geräte für Märkte ausserhalb Chinas zur Verfügung habe. Diese werde man in den Ländern anbieten, in denen sich die P-Serie in der Vergangenheit gut verkauft hat.
Sehen wir überhaupt noch ein neues Huawei-Smartphone in Europa?
Es ist wohl nicht übertrieben, darauf zu spekulieren, dass das Huawei P50 Pro vorerst das letzte High-End-Smartphone von Huawei sein wird – zumindest ausserhalb Chinas. Schon jetzt ist es fraglich, ob das P50 Pro überhaupt nach Europa kommt. Zum einen wäre es das erste Smartphone mit dem hauseigenen HarmonyOS. Dass Huawei sich damit noch nicht nach Europa traut, zeigt die Update-Politik: Bisher haben nur chinesische Smartphones das neue Betriebssystem erhalten. In Europa hingegen versucht Huawei die Kunden mit der Watch 3 Pro oder Tablets langsam an HarmonyOS heranzuführen.
Auch das neue Mittelklassegerät Nova 8i, das Huawei kürzlich in China vorgestellt hat, werden wir wohl nichts in Europa sehen. Auf Anfrage von vybe hatte Huawei Schweiz bereits bestätigt, dass es bisher keine Pläne für einen Launch hierzulande gebe. Auch bei den bestehenden Smartphones scheint Huawei seinen Effort zumindest in der Schweiz zu zügeln: Bei meinem P30 Pro, dass Huawei mir als Testgerät zur Verfügung gestellt hat, läuft noch immer EMUI 10. Auch bei den Sicherheitspatches, wo Huawei früher eigentlich immer zeitnah aktualisiert hat, harzt es nun gewaltig: Der letzte Patch auf meinem Gerät wurde am 1. April 2020 verteilt.
Selbst ohne US-Bann wird es für Huawei schwierig
Nein, verschwinden wird Huawei sicher nicht. Der Konzern hat in den letzten zwei Jahren bewiesen, dass er anpassungsfähig ist. Huawei ist von einem Hardwarekonzern zu einem Software- und Dienstleistungsanbieter geworden. Im Bereich Cloud-Computing ist Huawei zuletzt in die Top 5 der weltweit grössten Anbieter vorgestossen. HarmonyOS wiederum ist in China, wo Google und andere westliche Apps keine Rolle spielen, auf gutem Weg. Selbst wenn es für HarmonyOS ausserhalb Chinas schwer wird: Im Heimatland dürfte sich das System nebst Android und iOS etablieren – und wenn es der Staat ist, der dafür sorgt.
Spannend bleibt, ob Huawei sein breites Produktportfolio halten kann. In den letzten zwei Jahren hat der Konzern unter anderem diverse Kopfhörer, Computer-Monitore, eine smarte Waage und sogar einen Elektrorasierer vorgestellt (die beiden letzteren nur in China). Diese Geräte kommen auch mit schwächeren Chips aus, die chinesische Unternehmen wie SMIC bereits ohne Patente aus den USA oder Europa fertigen kann. Trotzdem besteht auch hier immer die Gefahr, dass Huawei wichtige Schlüsselkomponenten nicht oder nur begrenzt beziehen kann.
Im Smartphone-Bereich dürfte Huawei nicht ganz verschwinden. In Zukunft wird man sich wohl auf den chinesischen Markt konzentrieren und dort vor allem Einsteiger- und Mittelklassemodelle vorstellen. Vielleicht ist Huawei dann bis in fünf oder zehn Jahren fähig, wieder High-End-Smartphones herzustellen – wenn diese Geräteform dann überhaupt noch existiert. Wie die Sache in Europa aussieht, ist allerdings ein anderes Thema. Selbst wenn die USA den Bann überraschend aufheben sollten, bleibt für Huawei ein grosser Image-Schaden im Smartphone-Bereich. In den letzten zwei Jahren hat sich der Gedanke, dass Huawei-Handys ohne Google-Apps kommen fest im Gedächtnis der potenziellen Kund*innen verankert. Es dürfte schwierig werden, dies wieder rückgängig zu machen.