Okay, es ist eigentlich keine Überraschung mehr, dass Hollywood in immer kürzeren Abständen Stoffe neu auflegt. Oder «einem jüngeren Publikum näher bringen möchte», wie es so gerne in den jeweiligen Pressemitteilungen heisst. Als ob das heutige Kinopublikum nicht mehr Lust hätte, einen Film, der älter als zehn Jahre ist, zu schauen. Wobei: Wenn ich mir die Aufmerksamkeitsspanne der Social-Media-Generation ansehe (passiert innerhalb von vier Sekunden nichts, wird weiter gewischt), könnte das vielleicht sogar stimmen. Trotzdem war ich heute ein klein wenig überrascht gewesen, als ich folgende Schlagzeile las:
«Schneewittchen-Disney-Remake besetzt Andrew Burnap als neuen Charakter»
Moment, was?! Es kommt schon wieder eine Schneewittchen-Verfilmung?! Gab es da nicht eben erst noch zwei Filme? Vor vier oder fünf Jahren? Kurz gegoogelt und ich weiss, dass es doch schon zehn Jahre her ist. 2012 kamen mit «Snow White and the Huntsman» und «Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen» gleich zwei Neuinterpretationen in die Kinos. Erstere etwas düsterer, im Gewand einer klassischen Film-Fantasy-Story, die Zweite eher etwas lockerer, im vergeblichen Versuch, Schneewittchen in ein komödiantisches Licht zu rücken.
Schneewittchen floppte und trotzdem geht es weiter
Bereits damals waren die Kinozuschauer*innen verwirrt, warum gleich zwei Filme zum klassischen Märchen im selben Jahr in die Kinos kamen. Entsprechend waren beide Filme eher mässig erfolgreich an den Kinokassen, «Spieglein, Spieglein» spielte sogar nur mit Mühe und Not sein Produktionsbudget von 85 Millionen wieder ein.
2016 erschien dann zu meiner Überraschung tatsächlich noch eine Fortsetzung zu «Snow White and the Huntsman». Schaut man sich das Einspielergebnis ein, lässt sich diese Entscheidung nur schlecht nachvollziehen, denn auch dieser Film hat seine Produktionskosten eher schlecht als recht wieder eingespielt. Womöglich hat die anschliessende Verwertung im Heimkino- und Streaming-Markt aber so viel eingebracht, dass sich Universal zu einer Fortsetzung durchringen konnte. Oder man erhoffte sich, vom riesigen Erfolg, den Disney 2014 mit dem Märchenfilm «Maleficent – Die dunkle Fee» hatte, zu profitieren. Womöglich hat sich Universal eine Art düsteres Shared Universe mit grimmschen Filmadaptionen erhofft.
Was auch immer der Antrieb für die Fortsetzung «The Huntsman & The Ice Queen» gewesen sein mochte, sie ging nicht auf. Bei einem Budget von 115 Millionen Dollar hätte der Film mindestens 230 Millionen einnehmen müssen, um nur schon die Produktionskosten wieder einzuspielen. Geworden sind es dann schliesslich 165 Millionen, womit man dem Film getrost das Prädikat «Filmflop» verpassen kann.
Eigentlich müsste man meinen, dass diese Beispiele genug abschreckend sind, um Schneewittchen für einige Jahrzehnte auf Eis zu legen. Oder in einen gläsernen Sarg. Trotzdem kommt nun eine neue Adaption. Wobei das nicht ganz korrekt ist, denn offiziell handelt es sich um ein Remake des Disney-Klassikers «Schneewittchen und die 7 Zwerge». Das ist nur schon deswegen nicht dasselbe, da Disney gerne unerwähnt lässt, dass ihre frühen Filme beinahe ausnahmslos auf Vorlagen basierten. Dass sie damit Erfolg haben, zeigt, dass heutzutage Schneewittchen wohl die meisten Leute eher mit Disney in Verbindung bringen, denn mit den Gebrüder Grimm.
Disney ist eine unaufhaltsame Märchenfilmmaschinerie
Genau diese Vormachtstellung nutzt Disney nun gnadenlos für seine Kinostrategie aus. Seit 2014 erscheint jährlich ein neues Remake eines Disney-Klassikers. Zuerst «Maleficent», danach «Cinderella», «Das Dschungelbuch», «Christopher Robin» und «Die Schöne und das Biest». 2019 war Disney dann schon so weit, dass in einem Jahr ganze vier Remakes erschienen sind: «Der König der Löwen», «Aladdin», «Susi & Strolch» und «Dumbo». Im selben Jahr erschien mit «Maleficent 2» auch bereits die erste Fortsetzung dieser Remake-Strategie.
Zwar war «Dumbo» ein Flop und «Susi & Strolch» wurde auf den Streaming-Dienst Disney+ abgeschoben, doch dem Erfolg tat dies keinen Abbruch. Mit «Mulan» war Disney 2020 mitten in der Coronapandemie verhältnismässig erfolgreich und konnte seinen Streaming-Dienst ordentlich pushen. Danach folgte mit «Cruella» wieder eine Hintergrundgeschichte à la «Maleficent», die im Frühling 2021 erschien und trotz Corona über 233 Millionen einspielen konnte – damals kein schlechtes Resultat.
Das zeigt primär eines: Disney-Märchenfilme sind fast ausnahmslos immer erfolgreich. Egal, ob Corona oder nicht, die Leute strömen in die Kinosäle, um zu sehen, wie ihr Lieblings-Disney-Trickfilm aus Kindheitstagen als Realfilm daherkommt. Online wird geschimpft, es brauche kein Remake und dass Hollywood die Ideen ausgingen. Und trotzdem klingeln bei Disney die Kassen. Und genau deshalb kann sich Disney trotz der vorherigen Flops von Schneewittchenadaptionen ein Remake seines Klassikers leisten. Wenn der allererste abendfüllende Trickfilm von Disney ein Live-Action-Remake erhält, dann ist das fast schon ein kulturelles Ereignis. Diesen Film schauen sich alle an, denn wer das Original nicht kompromisslos vergöttert, will sehen, wie Disney mit der Adaption seines eigenen Kultfilms gescheitert ist oder den Stoff in das moderne Weltbild überführen konnte. Ein weiterer Kinoerfolg für Disney scheint unausweichlich.
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