Die Rückseite des Motorola Edge 20 Pro
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Motorola Edge 20 Pro im Test: Ein gutes Smartphone, aber mit Luft nach oben

Bruno Rivas
Bruno Rivas

Ehrlich gesagt, weiss ich nicht mehr genau, wann ich zuletzt ein Handy von Motorola in den Händen gehalten habe. Was ich aber mit Sicherheit sagen kann, es war kein Smartphone, sondern wirklich noch ein “Oldschool-Handy”, ohne Touchscreen oder dergleichen. Es liegt also definitiv schon etwas länger zurück. Umso mehr war ich auf das Motorola Edge 20 Pro gespannt, das mich in den letzten drei Wochen im Alltag begleitet hat.

Mit dem Edge 20 Pro möchte Motorola in der Smartphone-Oberklasse mitmischen. Das Datenblatt liest sich jedenfalls vielversprechend. Es gibt einen rasend schnellen AMOLED-Bildschirm mit 144 Hertz Bildwiederholrate, ein schneller Prozessor von Qualcomm und eine Kamera samt Periskop-Kamera. All das kostet nicht wie bei vielen Mitbewerbern über 1000 Franken, sondern ist bereits ab ca. 649 Franken (Stand Feb. 2022) erhältlich.

Ist das Motorola Edge 20 Pro somit ein “No-Brainer”? Das und mehr, klären wir im Testbericht.

Aussehen und Haptik

In der Schweiz bietet Motorola das Edge 20 Pro in den drei Farbvarianten Iridescent White, Blue Vegan Leather und Midnight Blue an. Letztere haben wir für den Test erhalten und überzeugt mit einer sich je nach Betrachtungswinkel und Lichteinfall verändernden Farbe. Spannend wäre sicherlich auch die Variante in Blue Vegan Leather. Die Rückseite besteht bei diesem Modell aus einem indigofarbenen Kunstleder.

Für die Vorder- und Rückseite setzt Motorola auf wertiges Glas. Die Längsseiten auf der Rückseite sind zum Rahmen hin gebogen, was in einer tadellosen Haptik resultiert. Der dunkelblaue Kamera-Buckel, welcher aus Kunststoff gefertigt ist, hebt sich ein paar Millimeter vom Gehäuse ab. Er beherbergt in einer rechteckigen Anordnung die Triple-Kamera samt Mikrofon und Dual-LED-Blitz. Weniger wertig fühlt sich der Rahmen an, er besteht “nur” aus Kunststoff. Das tut zwar der guten Verarbeitung keinen Abbruch, darf aber bei einem Smartphone in dieser Preisklasse schon aus hochwertigeren Materialien bestehen.

Unglücklich erachte ich die Platzierung der Tasten. Für meinen Geschmack sind sie alle einfach viel zu weit oben in den Rahmen eingelassen, so dass sie selbst mit grossen Händen nur schwer zu erreichen sind. Mühsam ist das gleich doppelt, da sich der Fingerabdrucksensor nicht direkt im Display befindet, sondern im Power-Button. Immerhin: Das Entsperren über den Sensor erfolgte stets sehr schnell und zuverlässig.

Display

Ein Highlight stellt das 6,7 Zoll grosse und durch Gorilla Glass 5 geschützte OLED-Display dar. Das liegt nicht etwa an der FHD+-Auflösung von 2400 x 1080 Pixeln, das ist Standard in dieser Preisklasse, sondern an der sehr hohen Bildwiederholrate von bis zu 144 Hertz. Ja, nicht einmal die Flaggschiff-Smartphones von Apple, Samsung, Oppo & Co. kommen aktuell an diesen Wert heran. Anders sieht es bei Gaming-Smartphones aus, hier haben sich die 144 Hertz etabliert.

Und was bringt die 144 Hertz Bildwiederholrate? Nun, natürlich eine durch und durch flüssige Darstellung der Inhalte. Zugegeben, das ist auch bei Smartphones mit 120 Hertz Bildwiederholrate der Fall. Da drängt sich die Frage auf, ob man den Unterschied zwischen 120 und 144 Hertz überhaupt sehen kann. Eine brenzlige Frage, die ich persönlich mit “nein” beantworte. Den Unterschied kann ich bei bestem Wille nicht sehen. Vielleicht liegt das aber auch an meinen Augen. 😉

Das Display des Motorola Edge 20 Pro
Bild: vybe

Seine Stärken spielt das Display in Games aus. Einerseits dank der sehr hohen Bildwiederholrate und andererseits wegen der hohen Touch-Abtastrate (Touch-Sampling-Rate). Diese gibt Motorola standardmässig mit 480 Hertz an. Wird erkannt, dass ein Game ausgeführt wird, erhöht sich die Abtastrate sogar auf bis zu 576 Hertz. Dadurch werden Touch-Eingaben viel schneller erkannt.

Bildwiederholrate kann angepasst werden
Die Bildwiederholrate kann angepasst werden | Screenshot: vybe

Eine höhere Bildwiederholrate benötigt mehr Leistung, ergo verkürzt sich dadurch die Akkulaufzeit merklich. Das ist natürlich auch Motorola bekannt. Deshalb gibt es eine KI (künstliche Intelligenz), welche dafür sorgt, dass immer die optimale Bildwiederholrate verwendet und so der Akkuverbrauch reduziert werden kann. Die KI kann dabei die Bildwiederholrate variabel zwischen 48 und 144 Hertz regulieren und so die Akkulaufzeit erhöhen.

Der flache Bildschirm mit Punch-Hole für die Selfie-Kamera überzeugt nicht nur mit der sehr hohen Bildwiederholrate, sondern auch mit einer guten, nicht zu knalligen Farbwiedergabe und der OLED-typischen hervorragenden Blickwinkelstabilität und tadellosen Schwarzwerte. Die Helligkeit ist grad noch ausreichend. Eine höhere Helligkeit wäre bei einem potenziellen Nachfolger wünschenswert.

Leistung

Motorola hat sich beim Edge 20 Pro für den Qualcomm Snapdragon 870 entschieden. Dieser wiederum basiert auf dem Snapdragon 865(+) aus 2020, liefert aber höhere Taktfrequenzen. Über die Leistung muss man sich jedenfalls keine Sorgen machen. In Kombination mit den 12 GB Arbeitsspeicher und dem schnellen UFS 3.1-Speicher von 256 GB ist es sehr leistungsfähig, das sich in Benchmarks nur knapp den Smartphones mit Snapdragon 888 geschlagen geben muss.

Nicht nur in Benchmarks, die in der Regel nicht wirklich viel aussagen, hinterlässt das Motorola einen durchwegs guten Eindruck. Das Gerät bewältigt auch alle erdenklichen Alltagsaufgaben ohne Ruckler und läuft dank der schlanken Software und dem 144 Hz Display butterweich. Doch auch in Spielen gibt es keinen Grund zur Kritik: Alle Games laufen darauf ohne Probleme. Erfreulich: Die Wärmeentwicklung hält sich dabei absolut in Grenzen.

Kamera

Bei der Kamera lässt sich Motorola nicht lumpen – zumindest auf dem Datenblatt nicht. Es gibt beim Motorola Edge 20 Pro eine Triple-Kamera, die sich aus einem 108 Megapixel-ISOCELL-HM2-Sensor von Samsung, einer 16 Megapixel-Ultraweitwinkelkamera (119 Grad) und einer Periskop-Kamera mit 8 Megapixeln zusammensetzt. Letztere bietet einen optischen und somit verlustfreien 5-fach Zoom. Eine optische Bildstabilisierung (OIS) gibt es nur für die Periskop-Kamera. Die Selfie-Kamera liefert 32 Megapixel.

Hauptkamera überzeugt bei guten Lichtverhältnissen

Durch die sogenannte Pixel-Binning-Technologie entstehen mit der 108 MP-Kamera letztendlich Aufnahmen mit 12 Megapixeln. Eine Option, um Aufnahmen mit 108 MP zu machen, habe ich nicht entdeckt. Die Aufnahmen bei optimalen Lichtverhältnissen gehen insgesamt in Ordnung. Ihnen würde etwas mehr Bildschärfe, dafür natürlichere Farben guttun. Da hat Motorola meiner Meinung nach noch nicht ganz den optimalen “Mix” gefunden.

Motorola Edge 20 Pro Beispielfoto Tag
Foto mit der Hauptkamera unter optimalen Lichtverhältnissen | Bild: vybe
Motorola Edge 20 Pro Beispielfoto Tag Ultraweitwinkelkamera
Foto mit der Ultraweitwinkelkamera unter optimalen Lichtverhältnissen | Bild: vybe
Motorola Edge 20 Pro Beispielfoto Tag mit 5-fach Zoom
Foto mit der Periskopkamera mit 5-fach Zoom unter optimalen Lichtverhältnissen | Bild: vybe

Bei nicht optimalen Lichtverhältnissen offenbaren sich Schwächen. Wer kein ruhiges Händchen hat oder seine Aufnahmen mit einem Stativ macht, der wird die fehlende optische Bildstabilisierung gerade bei Nachtaufnahmen immens vermissen. Da hilft der durchschnittliche Nachtmodus nur bedingt weiter. Insgesamt fällt das Fazit bei “Low-Light”-Aufnahmen eher ernüchternd aus. Ein Galaxy S21 FE, das sich in einer ähnlichen Preisklasse befindet, bietet da mehr.

Nachtaufnahme mit Hauptkamera
Nicht so überzeugend, Aufnahme bei Nacht mit aktivem Nacht-Modus | Bild: vybe
Nachtaufnahme mit Hauptkamera
Das können einige Mitbewerber besser | Bild: vybe

Ultraweitwinkel-, Periskop- und Selfie-Kamera

Bei viel Licht liefert die Ultraweitwinkelkamera ähnlich gute Ergebnisse wie die Hauptkamera, wobei auch hier etwas mehr Bildschärfe nicht verkehrt wäre. Doch das ist bei Ultraweitwinkelkameras in dieser Preisklasse nicht untypisch. Die Periskop-Kamera mit verlustfreien 5-fach Zoom macht ihren Job ordentlich. Die Auflösung hätte gerne etwas höher ausfallen dürfen. Der bis zu 50-fache Digitalzoom ist wie so oft eine Spielerei. Bis 10-fach Zoom geht noch grad, alles andere ist für die Tonne.

Zoom-Foto
Nicht wirklich brauchbar, der Zoom mit einer bis zu 50-fachen Vergrösserung | Bild: vybe

Die Ultraweitwinkelkamera und Periskop-Kamera leiden stark unter schlechten Lichtverhältnissen. Je weniger Licht, umso mehr Rauschen und Unschärfe landen auf den Aufnahmen. Wirklich brauchbar sind die Aufnahmen in der Regel nicht. Hier zeigt sich halt schon der Unterschied zu den Top-Kamera-Smartphones. Die bieten einfach auch bei nicht optimalen Lichtverhältnissen mehr. Nun gut, irgendwo muss Motorola auch den Rotstift ansetzen, um den Preis niedrig zu halten.

Selfie-Kamera
Selfies gelingen ganz gut mit der Frontkamera | Bild: vybe

Die Selfie-Kamera kommt auf eine Auflösung von 32 Megapixeln. Auch hier setzt Motorola auf die Pixel-Binning-Technologie, womit sich die Fotoaufnahmen auf eine 8 MP reduzieren. Selfies gelingen gerade bei guten Lichtverhältnissen sehr ordentliche damit. Die Fotos haben eine gute Bildschärfe und Dynamik. Zu bemängeln ist einzig der oftmals zu stark überbelichtete Himmel im Hintergrund.

Videoaufnahmen

Videos lassen sich mit der Hauptkamera mit bis zu 8K-Auflösung bei 30 Bilder pro Sekunde aufnehmen. Aufgrund der niedrigen Framerate empfehle ich als Standard eher Videoaufnahmen mit 4K-Auflösung bei 60 FPS. Die Videos damit sind von der Qualität her gut. An dieser Stelle sei noch auf den sogenannten “Audio-Zoom” hingewiesen. Damit wird der Ton verstärkt, auf dem gerade fokussiert wird. Eine Spielerei, die aber ganz gut funktioniert.

Software

Auf dem Motorola Edge 20 Pro läuft ab Werk Android 11 mit der hauseigenen Oberfläche namens MyUX. Zum Zeitpunkt des Tests (Februar 2022) stand noch kein Update auf Android 12 bereit, was nicht so toll ist. Der Android-Sicherheitspatch stammt immerhin vom Dezember 2021. Motorola selbst verspricht übrigens mindestens zwei grosse Major-Updates und während zwei Jahren zweimonatliche Android-Sicherheitspatches – mehr oder weniger Standard im Android-Lager.

Ich hatte ja bis jetzt noch kein Motorola-Smartphone in den Händen und war deshalb umso mehr auf die Software gespannt. Und ja, ich wurde positiv überrascht. Die Nutzeroberfläche MyUX fühlt sich fast wie Stock-Android an. Es ist somit eine minimalistische Oberfläche, die sehr flüssig arbeitet. Auf Komfort muss indes niemand verzichten. Motorola wertet die Oberfläche mit einigen sinnvollen Features auf.

App-Übersicht
Bild: vybe

Sie sind unter den sogenannten Moto Experiences zu finden. Damit lässt sich beispielsweise mittels Gesten die Taschenlampe ein- und ausschalten oder mittels einer schnellen Drehbewegung die Kamera starten. Auch lassen sich Verknüpfungen auf den Fingerabdrucksensor legen – ein doppeltes Tippen auf den Power-Button öffnet dann zum Beispiel direkt die Twitter-App. Auch lässt sich die Oberfläche zumindest farblich den eigenen Wünschen anpassen.

Ein weiteres Feature, das wirklich gut funktioniert, ist die sogenannte “Ready-for-Option”. Im Lieferumfang befindet sich dafür sogar das passende USB-C-zu-HDMI-Kabel. Was es ist? Nun, angeschlossen an einen Bildschirm oder TV, verwandelt sich das Handy in einen kleinen Computer. Unter anderem Samsung-Nutzer*innen kennen diese Funktion als DeX. Bei Motorola ist die Oberfläche ähnlich aufgebaut und funktioniert mindestes so gut wie beim Mitbewerber. Ja, sogar echtes Multitasking ist damit möglich. Mir gefällts.

Mobiler Desktop
Bild: vybe
Mobiler Desktop Chorme
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Akku und Laden

Der Akku weist eine Kapazität von 4500 mAh auf. Damit bin ich immer über den Tag gekommen, egal ob ich das Smartphone wenig oder eher intensiv genutzt habe. Klar, wenn du den ganzen Tag nur Gamen möchtest, wirst du es definitiv früher aufladen müssen. Das wiederum gelingt nur über den USB-C-Anschluss, auf kabelloses Laden wurde vermutlich aufgrund der Kosten verzichtet. Für die einen mag das kein Problem sein, für andere ist das ein Kaufkriterium.

Das mitgelieferte Netzteil liefert 20 Watt und entsprechend Zeit muss man sich für eine komplette Ladung einrechnen. Ein voller Ladevorgang dauert fast eine Stunde und 30 Minuten. Damit ist die Ladegeschwindigkeit jetzt nicht besonders schnell. Das fällt vor allem dann auf, wenn man zuvor ein Smartphone mit einer höheren Ladgeschwindigkeit im Einsatz hatte. In meinem Fall das Oppo Reno6 Pro.

Motorola Edge 20 Pro: Und sonst so?

  • 5G, NFC, Wi-Fi 6 und Dual-SIM sind mit an Bord
  • kein Stereo-Sound: Es gibt nur einen maximal durchschnittlichen Mono-Lautsprecher (Unterseite)
  • Nur rudimentärer Schutz gegen das Eindringen von Wasser und Staub
Chrome-Browser
Bild: vybe

Das Testfazit zum Motorola Edge 20 Pro

Ist das Motorola Edge 20 Pro nun ein “No-Brainer”, also ein Smartphone, das ganz ohne Zweifel gekauft werden kann? Ganz so einfach ist es nicht. Auf der einen Seite sprechen für das Motorola Edge 20 Pro das herausragende Display, der üppige Speicher, der schnelle Prozessor, der ausdauernde Akku und die tolle Software samt PC-Funktion. All das, kombiniert mit einem attraktiven Preis von ca. 650 Franken, hört sich gut an, oder?

Ja, hört sich gut an, aber es gibt eine andere, nicht ganz so stimmige Seite. Dazu zählt die Kamera, mitunter eines der wichtigsten Features bei einem Smartphone. Nein, die Kamera ist nicht schlecht, aber auch nicht so gut, wie es das Datenblatt vermuten lässt. Vor allem bei schlechten Lichtverhältnissen enttäuscht sie. Auch das fehlende Wireless-Charging und der rudimentäre Schutz gegen Eindringen von Wasser haben wir als Schwachpunkte identifiziert.

Wer mit diesen Punkten leben kann, bekommt mit dem Motorola Edge 20 Pro ein insgesamt gut ausgestattetes “Fast-Flaggschiff” bzw. Oberklassen-Smartphone mit einigen tollen Features zu einem angemessenen Preis.