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Nokia, bitte werde endlich wieder abenteuerlustig

Erst letzte Woche habe ich mir überlegt, wann wohl Nokia, respektive HMD Global, sein nächstes Smartphone vorstellen würde. Seit dem 15. März wissen wir es: Dann hat HMD Global seine Einladungen für den nächsten Event verschickt.

Einladung Nokia HMD Global
Bild: Nokia

Was uns genau erwartet, wissen wir nicht, allerdings brodelt die Gerüchteküche gewaltig. Wahrscheinlich ist, dass wir das eine oder andere Mittelklassegerät zu sehen kriegen. Mit etwas Glück sogar das lang erwartete Nokia 7.3. Aber auch das kürzlich geleakte Gamer-Smartphone Nokia G10 ist ein heisser Kandidat.

Ebenfalls im Rennen sind zwei Handys mit der Bezeichnung X10 und X20. Nokia könnte mit den Geräten zwei günstige 5G-Smartphones vorstellen. Das klingt nett, aber lässt mich jetzt auch nicht gerade ekstatisch auf dieses Ereignis blicken. Aus Nokias Sicht ist es verständlich, dass man die Budget-Geräte-Linie ausbauen möchte: Der Premiummarkt ist hart umkämpft. Gleichzeitig werden Konsumenten auch bei Smartphones immer preisbewusster. Mehr und mehr Leute erkennen, dass ein gutes Handy nicht 1400 Franken kosten muss.

Nokia ist nicht mehr abenteuerlustig

Und dennoch: Irgendwie fehlt mir bei Nokia der Mut zu Innovation. Monat um Monat fuhr man nun die sichere Schiene und hat hauptsächlich Mittelklassegeräte veröffentlicht. Diese waren solide Handys, doch wirkliche Glanzstücke der Smartphone-Technik waren sie nicht. Es schien fast, als hätten die Finnen nach dem Nokia-9-Schluckauf beschlossen, die Experimente lieber anderen zu überlassen. Das wäre ja vielleicht noch okay, wenn die anderen Geräte überdurchschnittlich wären. Sind sie aber leider nicht. Nokia-Handys sind solide Geräte, die für den Preis angemessene Qualität liefern. Aber Akzente in der Budget-Linie setzen andere Hersteller.

Auch im letzten Herbst gab es, abgesehen vom Nokia 8.3 5G, hauptsächlich Einstiegs- und Mittelklassegeräte. | Bild: vybe.ch

Nicht falsch verstehen: Ich mag Nokiageräte. Sie funktionieren und viele von ihnen haben tolle Akkulaufzeiten. Aber sexy sind sie nicht. Normalerweise lösen bei mir zwei Dinge bei Smartphones ein Kaufverlangen aus: eine coole Funktion oder das Design. Simpel, ich weiss, aber es funktioniert. Im besten Fall ist es beides, im schlimmsten keines von beidem. Bei Nokia-Handys ist dies der Fall.

Ja, das Nokia 7.2 ist ein durchaus schönes Gerät und das Emerald Green sieht super aus. Ich finde es auch gut, das Nokia eigene Wege beim Kameramodul geht. Aber so richtig vom Hocker gehauen, hat mich bisher noch kein Nokia. Das liegt vor allem an der Vorderseite. Hier sieht die Konkurrenz einfach viel besser aus. Bestes Beispiel dafür war das Nokia 8.3 5G. Wie kann man so ein klobiges Gerät überhaupt in Betracht ziehen? Wieso hält Nokia krampfhaft am Balken mit Nokiaschriftzug auf der Vorderseite fest? Damit sah das Nokia 8.3 aus wie ein Handy, das vor zwei Jahren hätte auf den Markt kommen sollen.

Nokia 7.2 Rückseite Kritik
Von hinten sieht das Nokia 7.2 hübsch aus … | Bild: vybe.ch
Nokia 7.2 Test/Review Cyan Green
Von vorne leider eher nicht so. | Bild: vybe.ch

Kann es wirklich so schwer sein, ein schlankes, hochwertiges Design hinzukriegen? LG hat es mit dem LG Velvet vorgemacht: Ein Handy in der Preis- und Leistungsklasse des Nokia 8.3, das richtig toll aussieht, ist möglich. Das LG Velvet ist schlank, fühlt sich hochwertig an, vermittelt Lifestyle, man will haben. Dagegen wirkt das Nokia 8.3 wie ein klobiges Schlag-mich-tot-Handy für ältere Leute. Da nützen mir auch vier Jahre Updates nichts, denn das bietet inzwischen auch Samsung an, die wesentlich schönere Geräte haben. (Ausser das Galaxy S20 Ultra, das ist einfach nur hässlich).

Kamera hat noch Luft nach oben

Verbessern muss sich Nokia auch bei der Kamera. Die Handys liefern ordentliche Bilder. Aber im Vergleich zu Geräten von Huawei, Oppo oder Samsung hinkt man schlicht noch hinterher. Auf die Zusammenarbeit mit Zeiss gebe ich nicht viel. Der Grund ist einfach: Zeiss hat seinen Namen in der Vergangenheit für so viele Produkte hergegeben, dass die Marke für mich das Qualitätsmerkmal eingebüsst hat. Bei mir entstand der Eindruck, dass Zeiss seinen Namen sehr grosszügig lizenzierte und dabei nicht sichergestellt hat, dass dabei auch wirklich hochwertige Produkte entstehen. Selbst auf meiner 90-Franke-VR-Brille steht Zeiss drauf und die ist also nun wirklich nicht hochwertig. Da finde ich Huawei mit Leica und OnePlus mit Hasselblad um einiges interessanter.

Ein Foto mit dem Nokia 5.3: Akkurate Farben, aber da geht noch mehr. | Bild: vybe.ch

Nokia muss seine Linsen, Kameramodule, einfach das Gesamtpaket merklich verbessern, um sich vom Durchschnitt abzuheben. Ob dann schlussendlich Zeiss auf dem Kamerabuckel steht, ist sekundär. Innovation muss her und zwar schnell. Mit dem Nokia 8.3 hat man da bereits einen interessanten Weg mit der Software eingeschlagen: Diverse Effekte sollten cineastisches Filmen ermöglichen. Das ist doch mal ein guter Anfang und darf gerne ausgebaut werden. Weil der Ansatz von Nokia ist eigentlich gut: Die Marke vermeidet es, Fotos via Voreinstellungen zu übersättigen und setzt stattdessen auf eher natürliche Farben. Das gefällt und ist ein schönes Alleinstellungsmerkmal.

Jetzt muss Nokia aber einfach mal ein Handy raushauen, dass auch von der Hardware her richtig gut ist. Damit meine ich kein 108-Megapixel-Smartphone, wie die Gerüchteküche besagt. Lieber nur 50 Megapixel, dafür einen grösseren Sensor. Oder mehr optischer Zoom. Oder schlicht eine bessere Makrolinse, denn hier patzen Nokia-Handys oft bei schwachem Licht. Nokia stand für mich immer für Innovation, für Qualität und nordisches Flair. Letzteres haben die neuen Geräte, vor allem auch wegen der Farbgebung. Auch die Qualität ist gut, wenn wir jetzt mal das Nokia 9 ausser Acht lassen. Bei der Innovation, dem Erfindergeist, der Aufbruchstimmung denke ich aber nicht mehr an Nokia. Das ist sehr schade. Es bleibt zu hoffen, dass sich das bald wieder ändert.

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