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Nokia: Wie der Handy-König sich selbst vom Thron stürzte

Nokia: Von der Nummer 1 zum Untergang

LG hat bekannt gegeben, dass es seine Smartphone-Marke einstampfen wird. Damit ist nun offiziell, was Gerüchte schon seit einigen Wochen angedeutet haben. Schade, denn LG war lange eine richtig grosse Nummer im Smartphone-Segment und konnte mit guten und innovativen Handy-Modellen punkten. Auf dem Abstellgleis für ehemals erfolgreiche Handy-Marken ist LG aber nicht alleine. In unserer Artikelserie rekapitulieren wir fünf weitere Handy-Hersteller, denen der weltweite Siegeszug der Smartphones ganz und gar nicht gutgetan hat. Beginnen tun wir mit einem finnischen Unternehmen, das wir alle bestens kennen.

Nokia – Die Mutter aller Smartphone-Fails

Nokia. Das war einmal die Handy-Marke schlechthin. Das, was Samsung und Apple heute sind. Wenn ein Teenager sich Mitte der Nullerjahre ein Handy gewünscht hat, war es mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Nokia 3310. Wer dazumal angesagt sein wollte, musste dieses Handy haben. Hinzu kam, dass die Geräte von Nokia den Ruf hatten, nahezu unzerstörbar zu sein. Fairerweise muss man sagen, dass dies dazumal eigentlich für alle Handys galt, immerhin gab es da kaum empfindliche Gehäuseteile, die schnell kaputtgehen konnten.

Nokia 3310 von allen Seiten in grauer Farbe.
Das Nokia 3310 war das iPhone ersten Nullerjahre.| Bild: Wikimedia Commons/Multicherry

Der Niedergang von Nokia ist eines der grossen, klassischen Beispiele, wie ein Branchenprimus durch Überheblichkeit und falsche Entscheide eine disruptive Technik unterschätzt hat und zugrunde ging. Als Apple 2007 das iPhone vorstellte, lachten die Manager der konkurrierenden Techfirmen laut auf. Zumindest öffentlich gaben sie sich zuversichtlich, dass Apple mit dem iPhone keine Chance haben würde. Auch bei Nokia schien man diese Meinung zu vertreten. Drei Jahre später fanden sie sich in einer anderen Welt wieder, in der das iPhone das Mass aller Dinge war. Unternehmen wie Samsung oder HTC, die früh auf den Smartphone-Zug mit Android aufgesprungen waren, konnten plötzlich massiv ansteigende Verkaufszahlen vorweisen.

Nokia hatte zwar noch eine treue Anhängerschaft, doch die Finnen hatten immer mehr mit Problemen zu kämpfen. Die bisherigen Versuche, im Smartphone-Markt Fuss zu fassen, gelangen nicht. Im Vergleich zum iPhone oder Samsungs neuem Galaxy-Modell wirkten Nokias Smartphones fast schon improvisiert und altbacken. Das Nokia in ihrem 2008er-Flaggschiff N97 noch immer auf eine Slidertastatur setzte, zeigte auf, dass man nicht komplett auf das Smartphone-Konzept vertraute, das eine virtuelle Tastatur voraussetzte. Bis 2010 blieb Nokia zwar noch die weltweite Nummer 1, doch der Zerfall des Konzerns hatte bereits begonnen. Die Verkaufszahlen sanken, Nokia begann weltweit, tausende Stellen abzubauen.

Nokia N97.
Das Nokia N97 kam bei Reviews nicht gut weg. | Bild: Wikimedia Commons

Auch eigenes Betriebssystem brachte keinen Erfolg

Nebst dem, dass Nokia den Smartphone-Trend verschlafen hatte, unterschätzten die Finnen auch den App-Faktor: Statt früh auf Android zu setzen wie Samsung und HTC, wendete Nokia viele Ressourcen auf, um sein eigenes Betriebssystem namens Symbian für Smartphones zu adaptieren. Aus damaliger Sicht war das sicher nicht verkehrt. Während Apple mit iOS auf dem Aufstieg war, steckte Googles Android noch in den Kinderschuhen. Symbian wiederum war in Europa und Asien das führende Betriebssystem für Handys. Schnell stellte sich aber heraus, dass Symbian sich nur mühsam für Smartphones eignete. Für Programmierer*innen war es weitaus aufwendiger, Apps für Symbian-Smartphones zu entwickeln, also konzentrierten sie sich immer häufiger auf iOS und Android.

Symbian Betriebssystem für Smartphones von Nokia.
Bild: Wikimedia Commons

Wie überfordert Nokia mit der ganzen Situation war, zeigte sich Anfang 2010: Nokia kündigte an, Symbian Open Source zu machen, nur um diesen Entscheid im November 2010 wieder rückgängig zu machen. Samsung und Sony hatten mittlerweile den Wert von Android erkannt und setzten komplett auf Googles Alternative. Hätte Nokia hier mitgezogen, sähe die Smartphone-Welt heutzutage vielleicht anders aus. Stattdessen wollten die Finnen aber lieber weiterhin eigene Wege gehen. Um weiterhin konkurrieren zu können, plante man ein neues Betriebssystem, dass von Beginn an für Touchscreens optimiert sein sollte: MeeGo. Entwickelt wurde dieses zusammen mit Intel und sollte auch für weitere smarte Geräte wie Laptops oder Smart TVs adaptiert werden.

Im Juni 2011 kündigte Nokia dann mit dem N9 tatsächlich sein erstes Smartphone mit MeeGo an. Das neue Flaggschiff begeisterte die Presse und auch MeeGo überzeugte. Einflussreiche Tech-Websites wie The Verge oder Ars Technika lobten das Nokia N9 über alle Massen, rieten aber trotzdem von einem Kauf ab. Der Grund war simpel: Nokia hatte im selben Jahr bekannt gegeben, dass man eine strategische Partnerschaft mit Microsoft eingehe und zukünftig auf deren OS Windows Phone setzen werde. Als Folge brachte Nokia das N9 in vielen wichtigen Märkten wie den USA, Kanada oder Deutschland erst gar nicht mehr in den Verkauf.

Das Nokia N9 war das este und letzte Smartphone mit dem Betriebssystem MeeGo.
Das Nokia N9 mit MeeGo. | Bild: Nokia

Mit dem Wechsel auf Windows Phone versprach man sich nun endlich wieder einen Aufwärtstrend. Stattdessen brachen die Verkaufszahlen von Nokia-Smartphones weiterhin ein. Nokia hatte noch immer viele Geräte mit Symbian in den Verkaufsregalen stehen, welche nun plötzlich nicht mehr attraktiv waren. Kunden mieden die Geräte, mit der Befürchtung, ein Gerät mit veralteter Software zu kaufen, jetzt, wo Nokia sich auf Windows Phone fokussieren würde.

Nokia Lumia 900 mit Windows Phone 7.
Das Nokia Lumia 900 mit Windows Phone 7. | Bild: Nokia

Bereits im November 2011 stellte Nokia mit dem Lumia 900 das erste Smartphone mit Windows Phone vor. Doch der Schaden war zu dieser Zeit bereits angerichtet. Keines der nachfolgenden Windows-Modelle konnte den Verkaufsrückgang von Nokia-Geräten stoppen. Nokia geriet finanziell in Schieflage und musste zehntausende Stellen abbauen. Schliesslich entschieden sich die Finnen 2013 ihre Handy-Sparte abzustossen und sich nur noch auf Netzwerkausrüstung zu konzentrieren. 2014 übernahm Microsoft die komplette Handy-Sparte der Finnen und liess den Namen Nokia aus der Handy-Welt verschwinden – nur rund sieben Jahre nach der Vorstellung des iPhone.

Die Marke kehrt zurück, allerdings nicht mit „Originalbesetzung“

Es dauerte bis zum 13. Dezember 2016, bis erstmals wieder der Nokia-Schriftzug ein Handy zierte. Mit dem Feature-Phones Nokia 150 kehrte der Name wieder in die Handy-Sparte zurück. Etwa zwei Monate später folgte dann auch die Ankündigung für ein neues Nokia-Smartphone – dieses Mal endlich mit Android.

Das Nokia 6 war das erste Smartphone von HMD Global.
Das Nokia 6 war 2016 das erste Smartphone, das unter HMD Global erschien. | Bild: HMD Global

Möglich gemacht hat dies das Start-up HMD Global, das sich die Lizenzrechte für Nokia-Handys gesichert hatte. Zu Beginn hatte HMD Global mit seinen neuen Geräten grossen Erfolg und konnte rasch wachsen. Doch 2019 präsentierte HMD Global mit dem Nokia 9 PureView ein High-End-Gerät, das einige Probleme mit dem Fingerabdrucksensor und der Kamerasoftware hatte. Die Reviews waren verhalten und Nokia konnte sich nicht im High-End-Bereich festsetzen. Auch ansonsten schien es bei HMD Gobal etwas zu harzen. Die immer bessere Konkurrenz aus China liess die Marktanteile schwinden und Ende 2019 wurde Nokia bei den Marktanteilen nur noch zu „weitere Smartphone-Anbieter“ gezählt.

Bild: vybe | Quelle: Statista

2020 sollte dann das grosse Comeback gelingen. HMD Global wollte mit dem Nokia 8.3 ein günstiges 5G-Smartphone präsentieren. Um einen möglichst grossen Werbeeffekt zu generieren, kaufte man sich beim neusten James-Bond-Film „Keine Zeit zu sterben“ ein. Nun telefonierte James Bond nicht mehr mit Sony-Handys, sondern mit einem Smartphone mit finnischem Know-How. Was dann passierte, wissen wir: Die Coronapandemie zwang die Kinos zu schliessen. James Bond wurde auf den Herbst verschoben, so auch der Launch des Nokia 8.3 5G. Als der Herbst dann endlich da war, wurde „Keine Zeit zu sterben“ erneut verschoben. HMD Global kam unter Zugzwang und musste das Nokia 8.3 nun veröffentlichen, doch der Schaden war bereits angerichtet. Wäre das Gerät im Frühling 2020 noch ein spannendes 5G-Handy gewesen, war es jetzt nur eines von vielen, dass allerdings wesentlich klobiger war als Konkurrenzmodelle wie beispielsweise das LG Velvet.

Wie geht es mit Nokia weiter?

Seither ist es um HMD Global eher etwas ruhig geworden. Zwar wurde noch das eine oder andere Einstiegsmodell vorgestellt, doch Gerüchte, wonach Ende 2020 ein Nokia 7.3 oder sogar ein Nokia 9.1 erscheinen könnte, bewahrheiteten sich nicht. Was HMD Global sich die Zukunft von Nokia als Smartphone-Marke vorstellt, sehen wir am 8. April 2021. An diesem Tag halten die Finnen einen (aus Fansicht) längst überfällige Präsentation ab. Was wir dann zu sehen kriegen? Hoffentlich neue Nokia-Smartphones, die unsere Herzen wieder höher schlagen lassen.

Ein Kommentar zu “Nokia: Wie der Handy-König sich selbst vom Thron stürzte

  1. Edgar Schwanz sagt:

    Der für mich entscheidende Niedergang war die Entscheidung, die rentable Produktion seiner Produkte aus Deutschland (Bochum) ins Ausland zu verlagern, nur um Zuschüsse der Europäischen Gemeinschaft mitzunehmen. Die Konsumenten insbesondere in Deutschland haben diese Entscheidung missbilligt und Nokia boykottiert.

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