Kaum ein anderes Smartphone erzeugte in diesem Jahr einen so grossen Hype, wie das Nothing Phone 1. Firmengründer Carl Pei weiss ganz genau, wie ein Smartphone perfekt in Szene gesetzt wird. Das hat Pei bereits bei OnePlus eindrücklich unter Beweis gestellt, wo er 2014 als Mitbegründer fungierte und eine damals unbekannte Marke in Windeseile weltweit etablierte. Ja, der gute Herr versteht es, wie die Techwelt tickt und wie er sie in seinen Bann ziehen kann.
Doch kann das Nothing Phone 1 den hohen Erwartungen gerecht werden? Oder ist es mehr Schein als Sein? Sunrise war so freundlich und hat mir während zwei Wochen ein Testgerät bereitgestellt. In dieser Zeit konnte ich mir einen guten ersten Eindruck bilden, was das gehypte Smartphone im Alltag wirklich leistet. So viel sei schon hier verraten: Das Nothing Phone 1 hat seine Sonnen- und Schattenseiten.
Das Nothing Phone 1 ist ab sofort bei Sunrise, im Fachhandel oder direkt über den Hersteller ab 469 Franken in den Farben Schwarz und Weiss erhältlich.
Aussehen und Verarbeitung
Ja, das Aussehen ist zweifelsohne ein Pluspunkt. Wie schon bei den Kopfhörern, den Nothing Ear 1, legt das Start-Up-Unternehmen grossen Wert auf das Design. Das fängt schon bei der ungewöhnlichen Verpackung an. Ins Auge fällt in erster Linie die transparente Rückseite, die einen (kleinen) Blick auf das Innenleben des Smartphones gewährt. Aufgehübscht wird sie durch die sogenannte Glyph-Oberfläche. Das sind 900 nahtlos integrierte LEDs, die das Smartphone zum Leuchten bringen.
In den Einstellungen lassen sich zahlreiche Klingeltöne und Benachrichtigungen auswählen, die perfekt mit den weissen LEDs harmonieren. Die Klingeltöne sind allerdings ziemlich schrill geraten und nicht wirklich mein Fall. Ja, die Glyph-Oberfläche sieht vor allem bei Dunkelheit richtig cool aus und macht das Nothing Phone 1 zu einem Eyecatcher. Selten wurde ich auf der Strasse von so vielen fremden Menschen auf ein Smartphone angesprochen. Man fällt damit auf.
Doch nicht nur mit der Rückseite kann das Nothing Phone 1 punkten, auch die Vorderseite weiss zu entzücken. Im Gegensatz zu den anderen Android-Smartphones, bekommt man beim Nothing Phone 1 tatsächlich symmetrische Displayränder. Das kennen wir so sonst nur von Apple’s iPhone und stellt ein Novum bei Android dar. Allerdings muss man sich dafür mit etwas breiteren Rändern begnügen. Geschützt wird sowohl die Vorder- als auch die Rückseite durch Gorilla Glass 5.
Zu einem hochwertigen Eindruck trägt ebenso der matte Aluminiumrahmen bei, dessen Formfaktor allerdings verdächtig an ein aktuelles iPhone erinnert. Generell lässt sich festhalten, dass sich die Verarbeitung auf einem tadellosen Niveau bewegt, was auch auf die physischen Tasten (Lautstärke-Wippe und Power-Button) zutrifft. Sie weisen alle einen hervorragenden Druckpunkt auf und sind wackelfrei. Abgerundet wird das Nothing Phone 1 durch eine IP53-Zertifizierung, womit das Gerät rudimentär gegen Wasser (fallendes Sprühwasser) und Staub geschützt ist.
Display und Leistung
Das Nothing Phone 1 hat ein 6,55 Zoll grosses AMOLED-Display mit einer FullHD+-Auflösung (2400 x 1080 Pixel) und einer Bildwiederholrate von bis zu 120 Hertz integriert. Auf eine adaptive Bildwiederholrate muss man allerdings verzichten, da das Panel nicht auf der sogenannten LTPO-Technologie basiert. Dafür unterstützt das 10bit-Display auch HDR10+ und kann bis maximal 1200 nits hell werden. Im regulären Gebrauch sind es maximal 500 nits, was ausreichend ist. Grad bei direkter Sonneneinstrahlung, hätte ich mir eine etwas höhere Helligkeit gewünscht.
Das Display erwies sich im Test als gut. Die Helligkeit geht in Ordnung, die Farben sind je nach Modus intensiv oder natürlich dargestellt und die Blickwinkelstabilität passt. Auch gibt es ein Always-on-Display, das jedoch Stand heute keinerlei Anpassungsmöglichkeiten bietet. Bleibt zu hoffen, dass Nothing hier mit einem kommenden Software-Update nachbessern wird. Der Fingerabdrucksensor befindet sich direkt unter dem Display und funktioniert einwandfrei.
Beim Prozessor hat sich Nothing für den Snapdragon 778G Plus von Qualcomm entschieden. Ob das eine gute Wahl ist? Ja. Es ist ein guter Kompromiss zwischen Leistung und Kosten. Im Alltag kommt der maximal 2,5 GHz schnelle Prozessor nie an seine Grenzen. Im Internet surfen, zwischen mehreren Apps hin und her wechseln, all das funktioniert gänzlich ruckelfrei. Dies ist auch dem schnellen Arbeitsspeicher (LPDDR5) mit wahlweise 8 oder 12 GB RAM sowie internen Speicher (UFS 3.1) mit 128 oder 256 GB zu verdanken. Auch Games sind grundsätzlich kein Problem, bei grafikintensiven Titeln muss eventuell die Grafik leicht heruntergestuft werden.
Kamera
Bei der Kamera konzentriert sich Nothing auf das Wesentlichste. Nein, es gibt bei diesem Phone keine Quad-Kamera, sondern “nur” eine Dual-Kamera. Die soll laut Nothing dafür aber umso besser sein. Sie besteht aus einer Hauptkamera von Sony (IMX766) mit 50 Megapixel (f/1.88 und OIS) und einer Weitwinkelkamera mit ebenfalls 50 Megapixel, jedoch ohne optische Bildstabilisierung (OIS). Für Selfies steht eine Frontkamera mit 16 Megapixel zur Verfügung.
So viel dazu, was auf dem Datenblatt steht. Und wie schneiden die Kameras im Alltag ab? Nun, sagen wir es mal so: Sie setzen keinen neuen Massstab in dieser Preisklasse. Bei guten Lichtverhältnissen können die Fotos mit einer guten Bilddynamik, einer natürlichen Farbwiedergabe und guter Schärfe überzeugen. Das gilt für die Hauptkamera. Bei der Weitwinkelkamera enttäuschten die schwachen, gar etwas verwaschenen Farben.
Bei schlechten Lichtverhältnissen (Low-Light) kann weder die Hauptkamera, noch die Ultraweitwinkelkamera vollends überzeugen. Die Aufnahmen würde ich maximal als Durchschnittlich bezeichnen. Sagen wir es mal so: An die Qualität eines Samsung Galaxy S21 FE (ungefähr dieselbe Preisklasse) kommen die Aufnahmen schlichtweg nicht heran. An der Hardware liegt das eher nicht, denn zumindest der Hauptsensor von Sony hat schon in anderen Smartphones überzeugt – auch bei schwachem Licht. Die Hoffnung besteht also, dass Nothing mittels Software-Update nachbessern wird.
Ich lasse jetzt einfach mal ein paar Beispielfotos für sich sprechen. Anmerkung: Unser CMS komprimiert die Bilder. Wer sie in voller Auflösung betrachten möchte, findet diese und weitere Aufnahmen bei Google Fotos.
Auch Videos lassen sich mit dem Nothing Phone 1 aufnehmen. Die sehen zumindest auf dem Smartphone gar nicht schlecht aus. Allerdings ist die Videoqualität auf 4K bei 30 fps beschränkt. Die Selfiekamera erreicht übrigens maximal 1080p bei 30 fps bei Videos.
Software
Nothing setzt bei seinem Smartphone auf ein kaum verändertes Android. Wer die Pixel-Oberfläche der Google-Smartphones mag, der wird sich bei Nothing sehr schnell heimisch fühlen. Das Nothing OS, wie es offiziell genannt wird, basiert auf Android 12 und wird ab Werk ganz ohne Blotware ausgeliefert. Das heisst, auf dem Gerät sind keine Apps von Drittanbietern (Google-Apps sind da natürlich ausgeklammert) installiert. Das ist sehr vorbildlich.
Nothing hat für das Phone 1 die Kamera- und Audio-Recorder-App angepasst. Hinzu kommen ein paar auserlesene Widgets und die Anpassung für die Glyph-Rückseite. Der Rest erinnert an Stock-Android – abgesehen von den wenigen kosmetischen Anpassungen. Mich, als Stock-Android Sympathisant, spricht die Oberfläche definitiv an. Wer allerdings auf viele Anpassungsmöglichkeiten im Rahmen der Oberfläche gehofft hat, wird enttäuscht. Da gibt es aktuell noch nicht viele Möglichkeiten, was sich aber mit kommender Updates ändern kann.
Sprechen wir über die Update-Garantie. Nothing verspricht drei Jahre Software-Updates, sogenannte Major-Updates, sowie während vier Jahren Sicherheitspatches. Das geht für ein Mittelklasse-Smartphone in Ordnung. Allerdings muss sich Nothing noch unter Beweis stellen, wie schnell grosse Updates bereitgestellt werden. Inzwischen ist Android 13 raus und es wird gemunkelt, dass es bei Nothing noch bis Anfang 2023 dauern könnte. Das wäre eine doch ziemlich lange Wartezeit.
Akku und Laden
Das Nothing Phone 1 erreicht mit 4500 mAh Akku eine durchaus solide Laufzeit. Ich konnte das Gerät problemlos den ganzen Tag nutzen, ohne dass ich mir sorgen um den Akku machen musste. Und ja, ich gehöre zu der Sorte, die das Smartphone recht intensiv im Einsatz haben. Wer das Phone eher wenig braucht, kommt auf eine Laufzeit von ca. 1,5 bis 2 Tage.
Aufgeladen wird über den USB-C-Anschluss oder via Wireless-Charging (Qi). Ein Ladegerät liefert Nothing nicht mit, was inzwischen in der Branche üblich ist. Die Ladegeschwindigkeiten halten sich in Grenzen. Heisst, via Kabel sind maximal 33 Watt möglich und kabellos gibt es maximal 15 Watt. Per Kabel dauert eine volle Ladung ca. 65 bis 70 Minuten.
Dank Reverse-Wireless-Charging lassen sich auch andere Geräte, beispielsweise ein paar Bluetooth-Kopfhörer, direkt über das Smartphone laden. Hier sind allerdings maximal 5 Watt möglich.
Testfazit zum Nothing Phone 1
Ist das Nothing Phone 1 mehr Schein als Sein? Würde ich so nicht unterschreiben. Es ist definitiv kein Über-Smartphone und auch kein “Flagship-Killer”, aber es ist dank des Glyph-Interface einzigartig. Ja, ich wurde schon länger nicht mehr so oft auf der Strasse auf ein Smartphone angesprochen, wie in den letzten Wochen mit dem Nothing Phone 1. Man fällt damit auf..
Das Nothing Phone 1 weiss zu gefallen und macht letztendlich vieles richtig. Grobe Schnitzer erlaubt sich das junge Unternehmen bei seinem ersten Smartphone nicht, das obendrauf mit einer hervorragenden Verarbeitung überzeugt. Das Highlight stellt zweifelsohne die transparente Rückseite und das Glyph-Interface dar. Der Formfaktor erinnert indes stark an das iPhone, was durch die symmetrische Displayränder verstärkt wird.
Das Display ist gut, wenn auch die Helligkeit etwas höher sein dürfte. Der Prozessor setzt keine neuen Massstäbe hinsichtlich Leistung, aber er reicht im Alltag allemal. Bei der Kamera sehe ich das grösste Potenzial. Die Aufnahmen sind gut, können aber nicht mit den besten Smartphones in der Preisklasse mithalten. Bleibt zu hoffen, dass Nothing mittels Update noch etwas nachbessern wird.
Kurzum: Ich habe das Nothing Phone 1 in den letzten Wochen gerne genutzt. Es ist ein grundsolides Mittelklasse-Smartphone, das sich im Test keine groben Schnitzer geleistet hat. Der Preis von 469 Franken ist angesichts der gebotenen Ausstattung jedoch an der oberen Grenze angesiedelt.