Wenn ich an Pixar denke, denke ich spontan an «Ratatouille», «Die Unglaublichen» oder «Alles steht Kopf». Aussergewöhnliche Geschichten, verpackt in einer wundervollen 3D-Animationswelt. Bereits 1995 hat Pixar mit «Toy Story» gezeigt, dass hier kreative Leute am Werk sind, die Geschichten anders erzählen. Wenn Pixar einen Film ankündigt, gehe ich immer davon aus, dass mich etwas Neues erwartet. Wer hätte vor «Ratatouille» gedacht, dass ein Film über eine kochende Ratte funktionieren könnte? Wie amüsant hat uns Pixar mit «Die Unglaublichen» den Spiegel vorgehalten, indem es uns eine Welt gezeigt hat, in der Superheld:innen eher verklagt, denn als hilfreich angesehen werden. Und selbst ein Thema wie Depressionen, das für einen Kinderfilm nicht geeignet scheint, hat Pixar mit «Alles steht Kopf» wundervoll umgesetzt.
Klar, auch Pixar gelingt nicht immer alles. Zu den wenigen Ausrutschern des Studios gehören die «Cars»-Filme, die unter der Disney-Führung rigoros zum Merchandising-Franchise ausgebaut wurden. Bei «Arlo & Spot» läuft mir noch heute ein Schauer über den Rücken und auch «Merida» hat seine Schwächen. Dann wiederum schafft es Pixar selbst bei Fortsetzungen abzuliefern. «Findet Dory»? Unterhaltsam und liebevoll. «Die Unglaublichen 2»? Wer hätte gedacht, dass Pixar im ausgelutschten Superheld:innen-Genre noch einmal einen neuen Ansatz findet? Und selbst der vierte «Toy Story»-Film kann das Niveau der vorherigen Filme halten.
Eine 13-Jährige wird zum Roten Panda
Meine Erwartungen an «Rot» waren dementsprechend hoch. Der Trailer hat schon einmal sehr amüsant ausgesehen und liess mich auf eine schräge Coming-of-Age-Story hoffen. Die Geschichte handelt von der 13-jährigen Mai Lee, die gerade die ersten Hochs und Tiefs des Teenager-Lebens durchmacht. Ihr Alltag dreht sich vor allem um drei Dinge: Den hohen Erwartungen ihrer Mutter gerecht zu werden, mit ihren drei Freundinnen Zeit zu verbringen und die Boyband 4*Town. Dumm nur, dass sie schon bald herausfindet, dass eine Art Fluch auf der Familie liegt: Eines Morgens sieht sie sich in einen riesigen Roten Panda verwandelt. Zwar kann sie ihre menschliche Form wieder annehmen, doch sobald sie emotional wird – im Positiven wie im Negativen – wird sie erneut zum flauschigen Tier.
Die Geschichte spielt im Jahr 2002, was eine angenehme Abwechslung gewesen ist. Nicht nur fällt damit das ganze moderne Social-Media-Gedöns weg, als Erwachsener kann man auch etwas in Nostalgie schwelgen. Zu letzterem trägt natürlich bei, dass Regisseurin Domee Shi den Zeitgeist der noch jungen Nullerjahre wundervoll eingefangen hat. Sie zeigt uns, wie es damals war, vor den Smartphones und der komplett vernetzten Welt, als wir unsere Träume noch in Notizbüchern verewigt haben und dem Schwarm in der realen Welt hinterher schmachten mussten (was es nicht einfacher gemacht hat). Zumindest in dieser Hinsicht spricht «Rot» auch ein erwachsenes Publikum an, während es den jüngeren Zuschauer:innen kaum etwas sagen dürfte.
Kein typischer Pixar-Film
Genau dieser Aspekt ist etwas, das mich bei Pixar-Filmen immer begeistert hat: Sie sind nicht einfach Filme für Kinder, die man als erwachsene Person nur so la la findet. Während Kinder in «Wall-E» einen Film über einen lustigen Roboter sehen, der sich verliebt, sieht man sich als Erwachsener mit Kritik an unserem Umweltbewusstsein konfrontiert. «Oben» wiederum ist vordergründig ein lustiger Abenteuerfilm eines alten Mannes und eines Jungen. Erwachsene sehen darin aber eine Geschichte über Einsamkeit im Alter, Obsession und die Bereitschaft, sich zu verändern – oder eben nicht.
Auch in «Rot» geht es darum, sich zu verändern. Wortwörtlich und auch metaphorisch. Mai Lee ist das typische Kind, das unter den Erfolgserwartungen seiner Eltern – hauptsächlich ihrer Helikoptermutter – leidet. Sie stellt ihre eigenen Interessen zurück, um ihrer Mutter zu gefallen. Erst der Rote Panda in ihr, hilft ihr, sich aus diesem unsichtbaren Gefängnis zu lösen. Auf dem Weg dahin bekommt sie viel Unterstützung ihrer drei Freundinnen.
Das Problem, das ich mit «Rot» hatte, ist, dass mich der Film in keiner Weise überraschen konnte. Ja, er war stellenweise witzig, ja, er hat mich etwas nostalgisch gestimmt – aber das reicht nicht. Die für Pixarfilme so typische zweite Erzählebene hat mir gefehlt. Ja, ich habe zuvor gesagt, als Erwachsener schaue man den Film anders, aber eben nur, weil man die Zeit kennt, in der er angesiedelt ist. Erzählerisch ist er schon fast etwas plump, wenn ich jetzt ganz böse sein will. Eine Geschichte über ein Kind, das sich aus den unsichtbaren Fesseln seiner Eltern befreit, um sich selbst zu finden und dabei auch den Eltern eine Lektion erteilt, ist nun wirklich nichts Neues mehr. Auch der Ansatz, dass man seine inneren Dämonen akzeptieren muss, ist zwar sicher ein guter Rat für Kinder, aber lässt einen als Erwachsenen nur gähnen.
Ein visueller Augenschmaus
Das ist sehr schade, denn visuell ist «Rot» wirklich top. Shi entführt uns in eine wunderschöne Welt asiatischer Immigranten, die im Kanada der 00er-Jahre leben. Mai Lee ist ein etwas schrulliger, aber sehr liebenswerter Hauptcharakter, der man das Teenager-Mädchen sofort abnimmt. Ihre Ängste und Sorgen sind nachvollziehbar und im ersten Akt leidet man mit der 13-Jährigen wirklich mit. Auch ihre Freundinnen sind der Hit. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein, tragen aber alle ihren Teil zur Handlung bei. Alles in allem schliesst man die vier Figuren schnell in sein Herz. Die Mutter wiederum trägt vor allem zu Beginn eher Slapstick-Momente bei, während der Vater eher blass bleibt. Zumindest gegen Ende erhält aber auch er noch seinen Moment.
Gefallen hat mir auch, wie «Rot» den ganzen Boygroup-Hype eingefangen hat, der so wohl nur zu dieser Zeit existiert konnte. Stellenweise gibt es sogar den einen oder anderen ironischen Seitenhieb gegen die Backstreet Boys und Co. Trotz alledem schwächelt der Film spätestens ab dem dritten Akt, wo man realisiert, dass die Geschichte auf das hinausläuft, was man von Anfang an vermutet hat. Ein überraschender Twist, eine neue Sichtweise auf das altbekannte Thema bleibt aus. Dass die Charaktere so gut ausgearbeitet sind, vermag diese voraussehbare Handlung etwas aufzuwerten. Damit ist «Rot» am Schluss das, was viele andere Animationsfilme heutzutage auch sind: Ein Film mit guten Absichten, der einem jungen Publikum eine für Erwachsene offensichtliche, wenn auch wichtige Botschaft vermittelt.
«Rot» ist ab dem 11. März exklusiv auf Disney+ abrufbar.