Alleine die Erinnerung an den Beginn dieser emotionalen Achterbahnfahrt sorgt bei mir auch heute noch für eine Gänsehaut. James Sunderland, sein Blick in den Spiegel, die Erinnerung an seine verstorbene Frau, der mysteriöse Brief. Die Musik setzt ein. Trostlos ist seine Seele, trostlos seine Umgebung. Der Nebel umhüllt ihn, seine Seele, die Umgebung, den Spieler. Der Seelen-Horror nimmt seinen Lauf und schickt mich auf eine Reise, die ich nie mehr vergessen werde. Vom Durchschnittsmenschen zum Helden, zurück zum Opfer und Versager. Noch kein anderes Videospiel zuvor hat mich derart hintergangen.
Der Soundtrack trägt mich, doch fürchte ich mich gleichzeitig. Sanfte Klänge umgeben mich, durchdringen mich, wollen mich in wohlige Geborgenheit einlullen. Doch im selben Moment dreht der musikalische Teppich, wirbelt herum und kotzt die Zärtlichkeit wieder aus. Der Sinfonie-Horror bringt mich vollends aus dem Konzept. So geht es weiter, immer und immer wieder macht mich der Soundtrack fertig und gleichzeitig so glücklich. Komponist Akira Yamaoka tanzt mit meiner Seele.
Silent Hill 2 hat mich mit Gefühlen überhäuft. Eine solch intensive Welle vollgestopft mit Hochs und Tiefs hätte ich damals nicht erwartet. Die klassische Heldengeschichte wird Schritt für Schritt über Bord geworfen, regelrecht ausgekotzt und dem Spieler vor die Füsse geworfen. James ist alles andere als ein Held. Auch wenn er immer stärker und fähiger wird, er wird psychisch immer schwächer, zweifelt an sich. Wird er anfangs mit positiven Attributen überhäuft, bröckeln diese immer mehr von ihm ab und zeigen nur noch die Hülle eines verzweifelten Mannes, der auf den falschen Pfad gelangt und sich verläuft. Er kann nicht mehr gerettet werden und will es auch nicht mehr.
Was tut man nicht alles für die Liebe seines Lebens? James tut alles. Er lässt sich in den Abgrund seiner eigenen Seele fallen und geht tief hinein in die dunkle Höhle des Grauens. Er stellt sich dem Seelen-Horror. Auch wenn die Hoffnung, sein Mut immer mehr schwindet, er geht immer weiter tief hinein. Sinnbildlich dafür sein Gang hinab unter die Erde. Schier unendlich lange geht man die Treppe hinunter. Doch es nimmt kein Ende. Ein Ladefehler? Nein, das Design ist pure Absicht. Sein Abstieg in die Hölle ist sinnbildlich. Einer von vielen kleinen aber dennoch riesigen Momenten im Spiel, die dem ganzen Seelen-Horror ein Bild geben.
Auch die Monster, allen voran der schleichende, groteske Pyramid-Head, sind ein Abbild von gequälten Seelen, die in dieser Stadt festgehalten und gefoltert werden. Ein Novum in der Entwicklung von Videospielen und ein Detail, das erst im Verlaufe der weiteren Spielstunden an die Oberfläche gelangt. Jedes auch so kleine Wesen, das am Rande der Dramaturgie für Angst und Schrecken sorgt, hat seine Bestimmung im Spiel und erzählt seine eigene, private Geschichte in dieser Horrorstadt, die immer mehr Qualen und Dramen aus sich herausspuckt.
Silent Hill 2 hat nicht nur Videospielgeschichte geschrieben, sondern mir zum ersten Mal knallhart aufgezeigt, wie sehr eine interaktive Geschichte berühren kann. Ich wurde durchgerüttelt, betrogen, mit wunderschönen Momenten konfrontiert und gleichzeitig auch in Angst und Schrecken versetzt.
Danke, Silent Hill 2. Du bist ein zeitloses Meisterwerk.
Und auf ewig gilt: In my restless dreams, I see that town…