Was ist denn das jetzt für ein Knilch, fragen sich vielleicht einige Stammleser. Darum dient dieser Text nicht nur dazu, über ein spannendes Behind-the-scenes-Thema zu schreiben, sondern mich gleich als neuen vybe-Redaktor vorzustellen. Also: Chris Bucher, Luzerner Journalist, Autor und Filmemacher.
Für meinen Einstand bei «vybe» bringe ich euch eine persönliche Geschichte mit. Seit über 15 Jahren bin ich gemeinsam mit meinem besten Freund freischaffend als Filmemacher unterwegs. In dieser Zeit sind – dank viel ehrenamtlichem Talent vor und hinter der Kamera – zahlreiche Filme entstanden. 2014 der Mystery-Thriller «Tyfelstei», verschiedene Musikvideos (etwa für den Grammy-nominierten Singer-Songwriter Ajay Mathur) und eine ganze Schwette Kurzfilme im Low-Budget-Bereich.
Der jüngste, ein Anthologie-Film mit dem Titel «Requiem – Three Tales of Horror», ging im September bei verschiedenen Streaming-Anbietern online: Amazon Prime, Tubi und ein paar kleinere, die kaum bekannt sind.
Damit ihr euch ein Bild von dem Film machen könnt, hier ganz uneigennützig der Trailer:
Bis zu Netflix – und noch viiiiel weiter
Der grösste – und einer der lukrativsten – Anbieter ist zweifellos Amazon Prime. Auf der amerikanischen Plattform können auch kleine Fische wie wir Filme anbieten, ohne einen Aggregator zu haben. Was ist ein Aggregator? Vereinfacht gesagt, ein Zwischenhändler, der deinen Film (oder Musik, da sind die nämlich auch gängig) prüft und gegen einen Prozentsatz der Einnahmen verschiedenen Plattformen anbietet. Mit «Filmhub» haben wir zwar einen Aggregator, aber Plattformen wie «Prime» bespielen wir lieber selbst. Dann müssen wir die Kohle nicht noch stärker teilen.
Viele Streaming-Anbieter sind ohne einen solchen Aggregator für Filmemacher gar nicht erreichbar. Du willst als Nobody bei Netflix unterkommen? Cool. Ich will einen T-Rex reiten. Ist etwa beides gleich realistisch.
Seine Werke mit der weiten Welt zu teilen ist erstmal toll. Bis man eben die Einnahmen sieht. Und damit kommen wir auch gleich zum Kern der Sache. Was verdient man als kleine Indie-Filmtruppe ohne Studio und grossem Werbebudget mit seinen Werken bei Amazon Prime, Plex, Tubi und Co.?
Kurze Antwort: sehr wenig. Danke fürs Lesen und wir sehen uns demnä- ah, ihr wollt es etwas genauer? Gut, bitteschön. Ich hole mir derweil ein Glas Scotch, um den aufkeimenden Frust runterzuspülen.
Ausser Spesen nix gewesen
Unser neustes Werk «Requiem – Three Tales of Horror» ist verfügbar in acht Sprachen (Untertitel sei dank) und in zahlreichen Ländern. Es erzielte im ersten Monat rund 270'000 Zuschauer. Muss man sich vorstellen. Über eine Viertelmillion Menschen schauen sich deinen Film an. Ohne Vertrieb, Medienpräsenz oder Marketing im Rücken.
Klar, Zuschauer bedeutet im Streaming nicht zwingend, dass die Person den Film von A-Z durchgeschaut hat, tatsächlich liegt der Schnitt der Leute, die unseren Film ganz geguckt haben bei rund 50 Prozent (wobei hier noch gesagt werden muss, dass die meisten von uns einen Film nicht vollständig schauen, oder zieht ihr euch jeweils auch den Abspann bis zum bitteren Ende rein?). Dennoch, diese Zuschauerzahl macht erstmal stolz. Bis uns mit der ersten Tantiemenzahlung das Lachen aus dem Gesicht gewischt wurde. Denn die Einnahmen betrugen:
Trommelwirbel
721 Euro.
270'000 Zuschauer. 721 Euro.
Nach den Abzügen bleiben davon noch 590 Euro übrig.
Da mögen jetzt ein paar Leute sagen: «Das ist doch gar nicht so wenig!». Aber jene Leute bedenken nicht, wie viele Personen an einem Film beteiligt sind und was für ein Aufwand insgesamt zusammenkommt. Selbst wenn, wie in unserem Falle, die meisten ehrenamtlich mitgewirkt haben. Catering, Übernachtungen, Locationmiete, Requisiten, Kostüme, Transport, Miete für Ausrüstung … das läppert sich schnell. Und eben: Dann hat keiner vom Team auch nur einen Cent dran verdient.
Hinzu kommt noch, dass der erste Monat oft der Wichtigste ist. Unsere Erfahrung zeigt, dass neue Filme in der Welle der nachrückenden Neuerscheinungen nur einen kurzen Moment im Rampenlicht geniessen können. Nach einigen Wochen haben haben andere Streifen von hoffnungsvollen Künstlern meistens in die Tiefen des Contentgrabens gespült.
Im Labyrinth des Algorithmus
Für die Tantiemen spielen viele Faktoren zusammen. Prime beispielsweise rechnet pro gestreamter Stunde ab. Bei gekauften und gemieteten Filmen kriegen wir 50 Prozent der Einnahmen. Das kommt bei uns leider nur in Einzelfällen vor. Den Löwenanteil machen wir übers Streaming.
Eines der Probleme: Die Bedingungen und Algorithmen davon ändern teils schneller als die Regierungsmitglieder in einem dubiosen Diktatorenstaat. Und ganz transparent war der ganze Bumms ohnehin kaum. Die Höhe der Tantiemen ist bestenfalls volatil, schlimmstenfalls totaler Abriss. Amazon hat den Prozentsatz in den vergangenen Jahren immer mal wieder runterkorrigiert. Mein letzter Stand stammt von 2020 und liegt bei rund 0,01 Cent pro gestreamter Stunde. Davor lag er mal bei 0,04 Cent.
Alte Recken im Indie-Filmgeschäft behaupten gar, sich an Zeiten zu erinnern, an denen sagenhafte 0,15 Cent ausbezahlt wurden. Zumindest in den USA. Denn, jahaa, der Prozentsatz ändert sich noch je nach Land, in dem der Film geschaut wird. Ihr seht, es ist ein ziemliches Geraffel.
«Alles Mist, alles Mist!»
Da ich nicht bei Kollege Bezos im Büro sitze, kann ich nur mutmassen, warum das so ist. Wie alle anderen kleinen Filmleute auch. Für einige ist es ein klarer Fall: Gier. Und es gibt jene, die sagen, dass grössere Streamingplattformen den Markt für Low-Budget-Produktionen absolut unattraktiv machen wollen und diese früher oder später ganz aus dem Katalog kicken werden. Weil: zuviel filmischer Müll.
Zugegeben, auf Prime, Tubi und anderen Orten gibt es unsäglich viel unerträglichen Quatsch (geht es nach den Bewertungen einiger Leute gehören wir da offenbar dazu). Aber ich persönlich pfeife mir lieber einen gut gemachten B-Movie mit frischen Ideen rein als das zweiunddrölfzigste CGI-Sequel.
Streaming, der grosse, böse Feind?
Welche Macht Streaming im Moment hat, sehen wir alle selbst. Da landen Filme, die fürs Kino gedacht waren als «Content» sang- und klanglos auf den Portalen. Selbst Filmemacher mit Gewicht müssen dafür kämpfen, dass ihre Filme auf der Leinwand gezeigt werden. Und sei es nur für ein paar wenige Wochen (damit man sie auch schön für die Awards legitimieren kann.)
Und warum das Ganze? Die Antwort dürfte wohl «Geld» heissen. Studios wie Disney und Paramount müssen Einnahmen durch Kino-Runs mit selbigen nämlich teilen. Lässt man die Kinos weg, kann man die Kohle selbst einstreichen. Wenn man die Filme dann noch auf einer eigenen kostenpflichtigen Plattform anbietet, steigt die Chance, dass die Leute dafür bezahlen. Monatlich. Ob das insgesamt lukrativer ist, weiss ich nicht, aber das Modell macht Schule. Seit Jahren. Ebenso wie regelmässige Abo-Preiserhöhungen.
Auch gibt es in der Indie-Film-Community die Vermutung, dass die grossen Studios auf den verschiedenen Streamingplattformen massiv bessere Konditionen erhalten, als die kleinen Künstlerinnen und Künstler. Ich glaube kaum, dass die Disney-Bosse jubelnd einen Firmenapero schmeissen, wenn sie ein paar Tausend Dollar für ein paar Millionen Streams bekommen haben. Die dürften ziemlich sicher einen höheren Prozentsatz abgreifen, damit das für sie überhaupt lukrativ ist.
Wir sitzen alle im selben sinkenden Boot
Davon können wir aktuell nur träumen. Wie es scheint, sind die lukrativen Zeiten für Indie-Filmemacher derzeit am Ende. Gilt übrigens auch für viele Musikschaffende. Darum tummeln sich mittlerweile auch Popstars wie Lily Allen und Kate Nash auf OnlyFans. Ist lukrativer als Spotify und Co. Für mich ist das keine Option. Meine Füsse will keiner sehen. Ich inbegriffen.
Das Rappengeschäft ist nicht nur hierzulande Usus. Wie mir ein amerikanischer Filmemacher, der seit den 80er Jahren mit B-Movies im Geschäft ist, hinter vorgehaltener Hand erzählt hat, achtet er mittlerweile einfach darauf, bei einem neuen Film nicht «völlig pleite» zu gehen. Für ihn sind neue Filme – alle im Low-Budget-Bereich – eine Herzensangelegenheit geworden, keine Verdienstmöglichkeit.
Der Optimismus bleibt
Wir sehen das langsam ähnlich. Reich werden war nie unsere Absicht. Dafür sind mein Filmbuddy und ich zu sehr Realist. Aber was heisst das jetzt für mich als Filmemacher? Eigentlich bleiben uns nur zwei Möglichkeiten: «GO BIG» mit Produktionsfirma im Nacken, Fördergelder, Stiftungen und dem ganzen Kladderadatsch. Ist viel Aufwand und die Chance, sein Projekt trotzdem nicht realisieren zu können, ist gross.
Oder «go small» und wir produzieren künftig aus Spass an der Sache für Youtube und hoffen – wie zig Millionen andere «Content Cretators» (Gott, ich hasse dieses Wort) auf den grossen Durchbruch. Bei David F. Sandberg («Annabelle 2», «Shazam») hat das schliesslich auch geklappt.
Fakt ist, der Status Quo ist für uns kleine Filmschaffende nicht besonders motivierend. Klar, es ist toll, die Möglichkeit zu haben und seine Werke mit der Welt teilen zu können. Noch besser wäre es aber, dafür auch besser bezahlt zu werden. Wenn ich beispielsweise sehe, dass Leute bedenkenlos jeden Tag 7 Euro für Zuckersirup mit Kaffeegeschmack (aka Latte Macchiato mit Arabica Roast und Caramel Drip) auf die Theke knallen, dann aber bei 4,5 Euro für die Miete eines Filmes finden «Ist mir zu teuer», schäume ich stärker als jede Milch bei Starbucks.
Es bleibt also spannend. Ans Aufgeben denken wir trotz des Rückschlages nicht. Schliesslich lieben wir, was wir machen. Und wir machen es ja freiwillig. Und mit «The Lost Valley – Into the Unknown» haben wir noch eine spassige Trash-Granate in der Produktion, die nur darauf wartet, auf die Welt losgelassen zu werden. Auf welchen Kanälen das sein wird, ist derzeit Gegenstand laufender Ermittlungen.
Wer weiss, vielleicht können mein Filmpartner und ich uns dann mit den Einnahmen des kommenden Films ein Abendessen für die Crew gönnen. Lieferdienst, nicht Luxusdiner. Bis dahin könnt ihr euch auf weitere Artikel von mir zu den Bereichen Film und Games freuen.