Huawei oder China gegen die USA.
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Wie sieht die Zukunft von Huawei aus? 5 Spekulationen im Überblick

Pascal Scherrer
Pascal Scherrer

Huaweis Leidensweg nimmt kein Ende. Zwar ist Donald Trump als US-Präsident Geschichte, doch allem Anschein nach wird auch Nachfolger Joe Biden die Sanktionen beibehalten. Der chinesische Konzern wird damit nicht nur weiterhin von Google-Software abgeschnitten sein, sondern kann auch kein 5G-Equipment bauen. Wir haben uns einmal einen Überblick verschafft, wie Huawei diesen Herausforderungen begegnen will. Ausserdem wagen wir die eine oder andere Prognose, wie es mit dem ehemaligen Smartphone-Primus weitergehen könnte.

#1: Top-Smartphones von Huawei sind (in Europa) bald Geschichte

Huawei P40 Pro: Welche Apps gibt es?
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Es dürfte wohl niemanden überraschen, wenn Huawei seine Top-Smartphones bald nicht mehr nach Europa bringt. Erst kürzlich haben die Chinesen ihr neues Faltsmartphone Huawei Mate X2 vorgestellt, das sehr wahrscheinlich nicht mehr nach Europa kommen wird. Der Grund ist simpel: Huawei gehen die 5G-Chips aus. Ein Flaggschiff ohne 5G und ohne Google-Services auf den Markt zu bringen, kann fast nur scheitern – zumindest, wenn es im Preisbereich von über 1000 Franken angesiedelt ist.

Kommt noch ein letztes Flaggschiff?

Die grosse Frage ist nun natürlich, ob Huawei auch das P50 (wenn es denn so heisst) nicht mehr nach Europa bringt. Vorstellbar wäre, dass das Gerät in kleiner Auflage in ausgewählten Ländern startet. Zum einen, um Präsenz zu markieren, zum anderen, weil es immer noch eine gewisse Fanbase gibt, die auch ohne Google-Services leben kann. Diese Taktik hat Huawei bereits im Herbst mit dem Mate 40 Pro verfolgt. Doch auch wenn das P50 noch nach Europa kommt – was passiert danach?

Denkbar wäre, dass Huawei sich nun auf das Einsteiger- und Mittelklassesortiment konzentriert. Zumindest im Einsteigerbereich sind Handys ohne 5G noch Standard. Ein Hinweis auf diese Strategie könnte die 4G-Version des Huawei P40 liefern, die kürzlich in China veröffentlicht wurde. Es könnte gut sein, dass dieses Gerät es als günstigeres Modell nach Europa schafft.

HiSilicon Kirin 1000 Chip
Huaweis eigene 5G-Chips gehören im Moment der Vergangenheit an. | Bild: Huawei

Eine langfristige Lösung ist das aber auch nicht. Huawei ist nämlich nicht nur von 5G-Chips abgeschnitten, sondern praktisch von sämtlichen leistungsfähigen Chips. Ist in die Produktion eines Chips in irgendeiner Form ein US-Patent involviert – und sei es nur für die Logistiksoftware –, darf der Chiphersteller nicht mehr an Huawei verkaufen. Da Chinas Halbleiterindustrie ohne US-Patente noch immer um Jahre hinterherhinkt, wird Huawei auch bald keine Leistungsfähigen 4G-Chips mehr nutzen können. Aktuell sollen die Lager an High-End-Chips noch etwa ein halbes Jahr reichen. Danach sieht es düster aus, wenn sich die USA noch immer quer stellen. “Wenn sich die Chipversorgung bis dahin nicht ändert, müssen Smartphones der Marke Huawei den Markt verlassen”, zitierte die chinesische Global Times im Februar den Analysten Zhang Xiaorong. Derselbe Analyst schätzt, dass Huawei noch rund fünf bis acht Jahre braucht, um leistungsfähige Chips im 5-Nanometerverfahren ohne US-Patente herstellen zu können.

#2: Fokussierung auf Wearables und Computer

Huawei Watch GT 2e

Auch wenn Huawei von leistungsfähigen Chips abgeschnitten ist: Ein gewisses Mass an Chips kann die chinesische Halbleiterindustrie auch ohne US-Patente liefern. Gut sind diese nicht unbedingt. Aber sie reichen allemal, damit Huawei Wearables wie Smartwatches und Kopfhörer produzieren kann. Dass die Chinesen nun auf diese Strategie setzen, hat sich bereits 2019 und 2020 gezeigt: Innerhalb von nur zwei Jahren ist vor allem das Kopfhörerportfolio massiv gewachsen. Nebst diversen In-Ear-Kopfhörern hat Huawei inzwischen auch die Over-Ear-Kopfhörer Freebuds Studio auf den Markt gebracht.

Ein weiterer Bereich, den Huawei nun sehr wahrscheinlich stark ausbauen wird, ist die Modellpalette an Computern und dazugehörige Peripherie. Mit seinen Laptopmodellen drängt Huawei schon seit etwa zwei Jahren verstärkt in den europäischen Markt. Seit einigen Monaten gibt es auch immer wieder Leaks diverser Huawei-Computer. Unter anderem scheint ein Gaming-Laptop in Entwicklung zu sein, genauso wie ein All-in-One-Desktopcomputer. Bereits im November 2020 hat Huawei die MateStation B515 vorgestellt, die in der Schweiz allerdings nicht erhältlich ist.

Mit den Freebuds Pro stiegt Huawei 2020 ins Pro-Segment bei In-Ears ein. | Bild: vybe

Wie lange reichen die Intel-Chips?

Die Frage ist auch hier, wie weit die Chips von Huawei reichen. Microsoft und Intel hatten letztes Jahr Ausnahmelizenzen von der US-Regierung erhalten. Allerdings hatte die Trump-Administration noch im Januar 2021 einige Lizenzen widerrufen, darunter angeblich auch diejenige von Intel. Da stellt sich natürlich die Frage, ob und wie viele Chips sich Huawei vor dem erneuten Intel-Bann hat sicher können.

Etwas einfacher dürfte Huawei es da im Bereich des Zubehörs haben. Dass man hier vorwärts machen möchte, zeigten die Chinesen mit dem ersten Monitor, der am 22. Februar vorgestellt wurde. Dieser wird auch in der Schweiz erscheinen und soll wohl helfen, die Marke Huawei weiterhin in den Köpfen der Leute präsent zu halten.

#3: Ausbau der Software-Dienstleistungen

Symbolbild Huawei HarmonyOS
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Bereits kurz nach dem US-Bann hat Huawei angekündigt, dass man an einer Android-Alternative arbeite. Inzwischen scheint HarmonyOS kurz vor dem Release zu stehen. Im April sollen erste Smartphones mit dem Betriebssystem versorgt werden. Diesen Weg hat Huawei aber nur beschritten, weil dem Unternehmen nichts anderes übrig blieb. Ein eigenes OS zu entwickeln kostet Geld, bringt aber kaum welches ein. Aus diesem Grund dürfte Huawei nun sehr stark daran arbeiten, seine Software-Dienstleistungen auszubauen. Vor allem im Bereich der Cloud, wo Huawei bisher – zumindest in Europa – eher hinterhergehinkt ist, passiert nun sehr viel.

Bereits kurz nachdem man ohne Google auskommen musste, hat Huawei eigene Abomodelle für seine Cloud in Europa eingeführt. Inzwischen versucht der Konzern die noch immer vorhandenen Lücken rasch zu schliessen. Unter anderem hat man Ende Januar die Huawei Cloud für den Desktop vorgestellt  –zumindest in China.

Die Frage ist, welche anderen Dienste Huawei etablieren kann. Im Moment gibt es unter anderem Alternativen für Spotify (Huawei Music) und Google Filme (Huawei Video). Die Frage, die sich hier natürlich stellt, ist, ob Huawei in Europa überhaupt eine Chance hat. Etablierte Anbieter wie Spotify, Dropbox oder Google Filme mit einem mehr oder weniger identischen Dienst zu konkurrieren, dürfte schwer werden. Einzig, wenn Huawei es hinkriegt, ein eigenes, taugliches Ökosystem aufzubauen, könnte man Huawei-Nutzer*innen auch dazu bewegen, Huawei-Dienste zu nutzen.

#4: Verstärktes Engagement in der Elektroautobranche

Huawei HiCar Software für Autos.
Bild: Huawei

Dass Huawei seine Fühler auch in Richtung Auto-Industrie ausstreckt, ist kein Geheimnis. Mit HiCar hat man 2020 bereits eine eigene Alternative zu Google Auto vorgestellt. Erste chinesische Hersteller sollen bereits auf HiCar setzten. Unter anderem wird auch Volvo zu den Marken gehören, die HiCar einsetzen werden – vermutlich aber nur in China.

Ebenfalls vorgestellt hat Huawei einen eigenen Elektroautomotor namens DriveOne. Der Konzern will damit zu einem unentbehrlichen Zulieferer für die Elektroautobauer werden. Dank Huaweis Know-How im Bereich der Ladetechnologie sollen Autos, die Huaweis Motor nutzen, um einiges schneller laden. Das ist natürlich im Moment vor allem noch PR.

Anfang März sind nun erste Gerüchte aufgetaucht, wonach Huawei sogar an einem eigenen Elektroauto werkeln soll. Laut Reuters, das sich auf gut informierte Quellen beruft, soll Huawei noch in diesem Jahr ein eigenes Elektroauto vorstellen. Das erscheint eine ziemlich gewagte Aussage. Es wirkt etwas unglaubwürdig, dass Huawei so kurz vor einem Release steht, wenn bisher noch keinerlei Leaks durchgesickert sind. Andererseits haben die Chinesen schon mehr als einmal bewiesen, dass sie unter Druck erstaunlich viel zustande bringen. Zumindest die Tatsache, dass Huawei sich verstärkt im Elektroautobereich engagiert, dürfte stimmen. Wie weit dieses Engagement wirklich geht, werden die nächsten Monate hoffentlich zeigen.

#5: Rückzug aus (Teilen) von Europa

Huawei Logo
Bild: flickr.com/laboratorio linux

Die PR-Abteilung von Huawei dürfte dies vehement dementieren. Dennoch ist es etwas, das zur Debatte steht. Das hat inzwischen auch Huawei-Gründer Ren Zhengfei gegenüber der South China Morning Post angedeutet. Dieser sagte er, dass man in Erwägung ziehen müsse, sich von gewissen Regionen, Kunden, Produkten und Szenarien zu verabschieden. Ob Zhengfei das wirklich so meint oder darauf hofft, dass seine Drohung gewisse Politiker nervös macht, ist schwer zu sagen. Schaut man sich aber an, wie sehr die Verkaufszahlen von Huawei in Europa eingebrochen sind, stellt sich durchaus die Frage, wie lange der Konzern noch Geld in den europäischen Markt pumpen will.

In China ist Huawei noch immer sehr stark, was vor allem auch daran liegt, dass man nicht von westlicher Software abhängig ist. Bleiben noch die Hardware-Probleme. Hier könnte man die Chipvorräte wohl strecken, wenn man sich aus Märkten, die sowieso verloren scheinen, zurückzieht. Wäre dies der Fall, stünde Europa sicher an vorderster Stelle. Andererseits hat Huawei in den letzten Jahren sehr stark in den Standort Europa investiert. Datencenter und Forschungsstationen haben sicher viel Geld verschlungen. Womöglich könnte es also sein, dass Huawei Europa zwar im Smartphone-Bereich aufgibt, nicht aber als Forschungsstandort. Ebenfalls spricht nichts dagegen, dass Huawei Europa weiterhin als Markt für seine zukünftigen Software-Services wie Huawei Cloud oder Huawei Video sieht. Dass der Konzern sich also ganz zurückzieht, scheint eher unwahrscheinlich. Dass der Konzern sich aber stark verändern wird und auch muss, ist unbestreitbar.

Mehr zu diesem Thema findest du in dieser Story: Huawei ist tot, lang lebe Huawei.