In einer Halle in Bern Bümpliz arbeitet ein Team aus ehrgeizigen Filmemacher*innen an einem der ambitioniertesten Projekte der Schweizer Filmszene: «Mad Heidi». Hört man sich die Inhaltsangabe des Streifens an, dürften viele erst einmal die Stirn runzeln:
«In einer dystopischen Schweiz, die unter die faschistische Herrschaft eines Käsemagnaten gefallen ist, lebt Heidi als einfache junge Frau in den Bergen. Ihr Grossvater tut sein Bestes, um sie vor den schlechten Einflüssen der Welt zu schützen, doch schon bald entfacht ihre Sehnsucht nach persönlicher Freiheit eine Revolution. Aus dem naiven Bergmädchen wird eine wilde Kämpferin, die den Käsefaschisten das Handwerk legen muss.»
Hört sich diese Synopsis noch einigermassen nachvollziehbar an, wird es spätestens beim Promo-Teaser für das Projekt ziemlich verrückt. Nun werden Köpfe gesprengt, Leute mit Schokoladenriegeln ermordet oder mit Fondue-Boarding gefoltert:
«Mad Heidi» ist eine ziemlich irre Idee, die in der Schweizer Filmförderungskultur wohl nur auf wenig Gegenliebe gestossen sein dürfte. Das Heidi-Märchen, das Schweizer Kulturgut schlechthin, zu einem blutigen Schundfilm degradiert? Mitnichten! Denn wer genauer hinschaut, findet in «Mad Heidi» eine witzige Hommage an die Schweiz, eine Persiflage von Heimatfilmen, garniert mit sehr viel Satire. Die Köpfe hinter «Mad Heidi» bezeichnen den Film selbst gerne als den ersten Swissploitation-Film der Welt: Ein Kofferwort aus Swiss und Exploitation. Letzteres steht dabei für ein Genre, bei dem mit reisserischer Gewalt- und Blutdarstellung die Sensationslust des Publikums geweckt wird. Oft wird das Ganze auch noch mit Sex, Kirchenkritik, Nationalsozialismus und Hexenverfolgung angereichert. Berühmte Beispiele sind «Machete», «Shaft» und natürlich «Iron Sky».
Exploitationfilme sind in der Regel günstig produziert und teilweise mit Laiendarsteller*innen besetzt. Zumindest in diesen zwei Bereichen kann «Mad Heidi» die Definition nicht erfüllen: Mit einem Budget von drei Millionen Franken ist der Film für Schweizer Verhältnisse definitiv keine Low-Budget-Produktion. Und auch bei der Besetzung sind der Casting-Crew zwei Coups gelungen: Für die Rolle des Oberbösewichts Meili konnten sie niemand geringeren als Casper van Dien verpflichten. Er dürfte vielen vor allem als Johnny Rico aus Paul Verhoevens Kriegssatire «Starship Troopers» bekannt sein. Ihm zur Seite steht ebenfalls ein bekannter Schauspieler: David Schofield, bekannt aus Filmen wie «Gladiator», «Fluch der Karibik» oder «American Werewolf», spielt den Alpöhi.
Dass die Filmemacher*innen von «Mad Heidi» überhaupt aus einem Budget von drei Millionen Franken schöpfen können, verdanken sie hauptsächlich vielen privaten Geldgeber*innen. Dank Crowdinvesting können alle in den Film investieren. 500 Franken bezahlt man pro Anteilsschein, kaufen kann man die Shares auf der Investment-Website des Projekts. Wer investiert, wird später am Umsatz des Films beteiligt. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. So ist das Crowdfundingziel von zwei Millionen Franken noch nicht ganz erreicht, wie uns Josh, der PR-Verantwortliche von «Mad Heidi», auf unserem Setbesuch erzählt. Rund 1,6 Millionen Franken seien bisher zusammengekommen. Fehlen also noch 400’000 Franken.
Trotzdem ist das Projekt bereits weit fortgeschritten. Als wir das umfangreiche Set in Bern Bümpliz besuchen, ist bereits die letzte Woche des knapp einmonatigen Drehs angebrochen. Angst, dass der fehlende Betrag nicht rechtzeitig zusammenkommt und die Produktion unterbrochen werden muss, hat Josh nicht. Bald komme der erste Trailer raus, was das Crowdfunding nochmals ordentlich ankurbeln werde, ist er überzeugt. Dass nicht nur er mit viel Herzblut und Überzeugung bei «Mad Heidi» dabei ist, merkt man in der riesigen Lagerhalle an allen Enden und Ecken.
Es herrscht eine lockere, aber professionelle Stimmung, die Leute lachen. Selbst der Drehverzug von fast einer Stunde scheint an diesem Tag niemanden wirklich zu verärgern. Casper van Dien dreht seine Szene auch nach dem gefühlt hundertsten Take professionell ab, dazwischen reisst er Witze: «Wir brauchen mehr Caspers» fordert er. Ein Gag, den nur er und die Crew verstehen. Van Dien steht in einem roten Trainingsanzug da und schaut gerade zu, wie ein armer Tropf einen Käse verköstigt, der diesen kurz darauf in eine Art Zombie verwandeln wird. Eine Szene die dutzende Male mit verschiedenen Einstellungen wiederholt werden muss, da die Crew nur mit einer Kamera filmt.
Während es nach dem obligatorischen «Action!» mucksmäuschenstill ist und nur die Schauspieler zu hören sind, erwacht das Set nach jedem «Cut!» zu neuem Leben. Die Leute wuseln herum, passen das Licht an, positionieren die Kamera neu, Regisseur Johannes Hartmann schaut sich den letzten Take an. Vor allem aber haben die Make-up Artists allerhand zu tun. Permanent korrigieren sie die Maske, zupfen einzelne Haare zurecht, tupfen den Schauspielern Schweiss und Fett vom Gesicht, damit in der nächsten Einstellung auch ja alles so aussieht, wie es soll.
Für Aussenstehende wirkt das alles wie ein gut organisiertes Chaos. Vor allem aber bekommt man einen guten Eindruck davon, wie viel Geduld Filmemachen erfordert. Wenn man nach einem langen Drehtag, bei dem man schon eine Stunde im Verzug ist, um 19.00 Uhr noch immer kein Nachtessen hatte, könnte manch eine Person etwas gereizt reagieren. Doch zumindest auf uns wirkt es überhaupt nicht so, als wäre irgendjemand mit den Nerven am Ende. Bis zuletzt wird konzentriert gearbeitet, hie und da fällt vielleicht mal ein ironischer Kommentar. Man merkt, dass diese Leute ihren Job lieben. Höchstens der berüchtigte Satz «Das korrigieren wir dann in der Post Production» deutet an, dass die Crew doch langsam mal an den Feierabend denkt.
Viel Liebe steckt auch in den Kulissen, die in der grossen Lagerhalle anzutreffen sind. Diese werden laufend aufgebaut, nur um Tage später wieder abgerissen zu werden, um für ein anderes Set Platz zu machen. Als wir durch die Halle laufen, die stellenweise an ein Brockenhaus erinnert, finden wir zwei Kulissen vor, in denen kurz zuvor noch gedreht worden war: Ein Gefängnistrakt und das Büro von Fräulein Rottweiler. Letzteres ist der ganze Stolz von Josh, wie er uns sagt. Und tatsächlich: Die Kulisse ist ein wahres Kunstwerk aus allerlei Skurrilitäten: Nebst patriotischen Gemälden und protzigem Mobiliar finden sich auf Regalen allerlei ausgestopfter Tiere und gruseliger Skelette, teilweise mit zwei Köpfen. Die Kulisse sagt einen ganz klar: Mit der Person, der dieses Büro gehört, möchte man keinen Streit anfangen.
Der Rest der Lagerhalle ist mit Requisiten zugepflastert. Überall stehen irgendwelche Dinge herum. Von Hellebarden über blutbespritzte Protestschilder bis hin zu künstlichen Käselaiben und sogar einem thronartigen Sessel. Man bekommt den Eindruck, als hätte das Art Departement sämtliche Antiquariate und Brockenhäuser der Schweiz geplündert. Doch vieles hat die Crew in aufwendiger Arbeit selbst hergestellt. Gepfuscht wird dabei nicht: Selbst kleinste Details wurden mit viel Sorgfalt gestaltet, auch wenn sie im fertigen Film wohl nur als Hintergrunddekoration dienen, die sich in der Tiefenunschärfe verlieren.
Kurz nach 20.00 Uhr ist unser Besuch zu Ende. Mit vielen tollen Eindrücken und einem sehr unterhaltsamen Interview mit Casper van Dien im Gepäck (das wir bald publizieren) verlassen wir Bern Bümpliz. Für uns ist «Mad Heidi» noch einmal ein ganzes Stück interessanter geworden. Es ist schön zu sehen, wie ein so ambitioniertes Filmprojekt in der Schweiz entsteht, unterstützt von einer internationalen Community und einer Crew, deren Enthusiasmus kaum zu bremsen ist. Zumindest wir könnten nach unserem Setbesuch nicht gespannter auf den fertigen Film sein und freuen uns schon jetzt auf den ersten Trailer zu «Mad Heidi».
Transparenzhinweis: vybe war auf Einladung der Filmproduktion von «Mad Heidi» auf dem Set. Die Auslagen für Anreise und Verpflegung hat vybe selbst getragen.